Wenn Wasser zum Zerreißen gespannt ist
Copyright: Georg Menzl, Universität Wien
Ein Nebeneffekt der Photosynthese von Pflanzen ist die Verdunstung von Wasser über die Blätter. Um den dadurch entstehenden Flüssigkeitsverlust auszugleichen, wird Wasser durch Unterdruck über dünne Kanäle vom Boden nach oben gezogen. Wasser kann unter solcher Zugbelastung, also unter negativem Druck, über lange Zeiten stabil bleiben, da die Anziehung zwischen den Molekülen, den kleinsten "Bausteinen" der Flüssigkeit, dem Zug entgegenwirkt. Jedoch ist diese Stabilität unter Spannung immer zeitlich beschränkt: Nach einiger Zeit "unter Zug" geht Wasser von der flüssigen Phase in Dampf über. Im Zuge dieses Übergangs bilden sich mikroskopische Dampfblasen, welche so lange wachsen, bis die Flüssigkeit letztendlich unter der angelegten Spannung "reißt".
Experimente liefern widersprüchliche Resultate
Sowohl die Stabilität von Wasser unter Zugbelastung als auch der Prozess der Blasenbildung selbst, die sogenannte Kavitation, sind von entscheidender Bedeutung für biologische Systeme und technische Anwendungen. Beispielsweise nützen Farne den abrupten Spannungsabfall durch Kavitation, um ihre Sporen wie ein Katapult wegzuschleudern. Kollabierende Dampfblasen können zum Beispiel an Schiffsschrauben oder Turbinenschaufeln zu Materialschäden führen.
Aufgrund dieser praktischen Relevanz wird die Zugstabilität von Wasser seit über 300 Jahren experimentell untersucht. Unterschiedliche Messmethoden liefern jedoch stark voneinander abweichende Resultate für die Zugstabilität von Wasser – ein starkes Indiz für unbekannte Effekte bei der Messung, meint Christoph Dellago: "Da der Kavitationsprozess explosionsartig schnell abläuft und die entscheidenden Aspekte der Blasenbildung stattfinden, solange die Blasen sehr klein sind, ist eine Methode nötig, um Blasenbildung in Wasser mit molekularer Auflösung zu analysieren".
Computersimulationen ermöglichen Analyse auf molekularer Ebene
Dieser Blick auf molekularer Ebene gelang einer internationalen Forschungskollaboration um Christoph Dellago an der Fakultät für Physik der Universität Wien mit Hilfe von Computersimulationen. Diese aufwändigen Simulationen, die von Georg Menzl und Philipp Geiger am Hochleistungsrechner Vienna Scientific Cluster (VSC) durchgeführt wurden, erlauben eine Analyse der Blasenbildung mit enorm hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung. "In der Computersimulation können wir viele mögliche Fehlerquellen ausschließen, die potenziell zu Abweichungen in den experimentellen Resultaten führen", erklären die Wissenschafter.
Mithilfe dieser Simulationen entwickelten die Physiker der Universität Wien zusammen mit Forschern aus Madrid und Lyon eine mikroskopische Theorie, die das Auftreten von Kavitation in Wasser abhängig von der angelegten Spannung quantitativ vorhersagt und zeigt, dass Wasser unter Zug stabiler ist als von vielen Experimenten vorhergesagt. "Eine Erkenntnis, die erst durch Computersimulationen möglich wurde, in denen selbst winzigste Blasen genau beobachtet werden konnten", so Christoph Dellago.