Einkristallsynthese: Kostengünstig und einfach in heißer Luft
Neue Methode zur Herstellung Lithium-basierter Übergangsmetalloxid-Kristalle
© UniversitätAugsburg/EP VI
Lithium-Iridat: ein Material mit hohem Potential
Bei der Erforschung exotischer magnetischer Grundzustände erregte Lithium-Iridat (α-Li2IrO3) in jüngster Vergangenheit große Aufmerksamkeit. Es fällt in die Klasse der sogenannten Honigwaben-Iridate, die als verheißungsvolle Kandidaten für die Realisierung einer neuartigen magnetischen Wechselwirkung – benannt nach dem Physiker Alexei Yurevich Kitaev – gelten. Diese Kitaev-Wechselwirkung verknüpft auf einem Honigwabengitter benachbarte magnetische Momente in einer ganz speziellen Form, die für die Realisierung von topologischen Quantencomputern wichtig sein könnte. Bisher konnte α-Li2IrO3 nur als Pulver synthetisiert werden, das entsprechende Fehlen von Einkristallen verwehrte den Forschern weitere wichtige Erkenntnisse über dieses Material. Mit der von den Augsburger Physikern um Prof. Dr. Philipp Gegenwart und Dr. Anton Jesche nun in Nature Scientific Reports beschriebenen Methode wurden erstmals solche Einkristalle hergestellt. Und darüber hat diese Methode sich inzwischen als vielseitig anwendbar erwiesen. Auch Einkristalle weiterer Verbindungen lassen sich mit ihr herstellen.
Einkristalle: Voraussetzung für tiefere Materialeinblicke
Die Verfügbarkeit von Einkristallen ist für die Materialforschung eine grundlegende Voraussetzung. Denn Einkristalle erlauben z. B. Messungen entlang spezifischer kristallographischer Achsen, wie sie bei einem Pulver nicht möglich sind. Weiterhin lassen sich Röntgenstrukturanalysen qualitativ verbessern, wenn hinreichend große Einkristalle vorliegen, und auch die Bestimmung von magnetischen Strukturen gelingt oft erst unter dieser Voraussetzung.
Überwindung der Grenzen gängiger Kristallzuchtmethoden
Um Kristalle für neue Materialien herzustellen, bedient man sich üblicherweise gängiger Kristallzuchtmethoden: Festkörperreaktionen, Schmelz- bzw. Flusszucht oder Gasphasentransport. Die Natur erschwert dies mit mancherlei Hindernissen, und diese klassischen Methoden führen nicht immer zum erwünschten Ergebnis. „Wenn alle Versuche auf etablierten Wegen scheitern, sind neuartige unkonventionelle Ideen gefragt“, sagt Philipp Gegenwart. An seinem Augsburger Lehrstuhl für Experimentalphysik VI/EKM ist es der Nachwuchsgruppe um Anton Jesche jetzt erstmals gelungen, Einkristalle von α-Li2IrO3 mit einer völlig neuen Technik herzustellen. Die Bestätigung der mit dieser neuen Technik erreichten hervorragenden kristallinen Qualität und die Untersuchung der magnetischen Eigenschaften dieser auf neue Art erzeugten Lithium-Iridat-Einkristalle steuerte eine kooperierende Forschergruppe der Universität Oxford bei.
Die neue Methode: isothermer Gasphasentransport mit separierten Edukten
Die sogenannten Edukte, also die Ausgangsmaterialien - im Fall von α-Li2IrO3 sind dies Lithium und Iridium - liegen bei dem neuen Verfahren zunächst vertikal voneinander getrennt vor. Während des Aufheizens in Luft bilden sie Oxide und Hydroxide, die bei einer Temperatur von 1020°C durch Gasphasentransport über die ursprüngliche Trennung hinweg zueinanderfinden und miteinander reagieren. Die aus dieser Reaktion resultierende Kristallisation findet bevorzugt an Kristallisationspunkten statt, die durch einen speziellen Aufbau vorgegeben werden (siehe Abbildung). Einzigartig bei dieser Methode ist, dass der Reaktions- bzw. Kristallisationsprozess in offener Atmosphäre an Luft und mit räumlich separierten Ausgangsmaterialien erfolgt. Ein Konzentrationsgefälle zwischen den Reaktionsgasen ermöglicht die fortlaufende Bildung der Kristalle. „Damit unterscheidet sich unsere Technik grundlegend von der etablierten Methode des Gasphasentransports. Bei dieser Methode wird das Material in einer ganz speziellen Atmosphäre in einem abgeschlossenen Volumen durch einen Temperaturunterschied transportiert , wobei sich die Kristalle dann am kältesten Punkt des abgeschlossenen Volumens bilden“, erläutert Anton Jesche.
Bereits entziffert: die magnetische Struktur von Lithium-Iridat
Auf der Grundlage der mit der neuen Methode erzeugten Kristalle konnte mittels resonanter Röntgendiffraktometrie bereits die magnetische Struktur von α-Li2IrO3 entziffert werden, wie die Augsburger Physiker und ihre Kollegen aus Oxford in einer weiteren Veröffentlichung in Physical Review B berichten. „Außerdem“, so Gegenwart, „zeigen Messungen auch hochtinteressante Ergebnisse zur richtungsabhängigen magnetischen Anisotropie von Lithium-Iridat.“
Auch auf die Einkristallzucht verwandter Verbindungen anwendbar
Besonders hervorzuheben sei aber, dass sich mit der neuen Methode nicht nur α-Li2IrO3 Kristalle synthetisieren lassen. Gegenwart: „Nachdem wir mittlerweile auch Einkristalle verwandter Verbindungen wie der Hochtemperaturphase β-Li2IrO3 oder Li2RuO3 herstellen konnten, sind wir davon überzeugt, dass sich unsere Methode erfolgreich auf eine Vielzahl weiterer Verbindungen wird anwenden lassen.“
Originalveröffentlichung
F. Freund, S.C. Williams, R.D. Johnson, R. Coldea, P. Gegenwart, A. Jesche; "Single crystal growth from separated educts and its application to lithium transition-metal oxides"; Sci. Rep.; 6, 35362 (2016)
S.C. Williams, R.D. Johnson, F. Freund, S. Choi, A. Jesche, I. Kimchi, S. Manni, A. Bombardi, P. Manuel, P. Gegenwart, R. Coldea; "Incommensurate counterrotating magnetic order stabilized by Kitaev interactions in the layered honeycomb α-Li2IrO3"; Phys. Rev.; B 93, 195158 (2016)
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