Scharfer Blick in die Welt der ultraschnellen Prozesse

16.03.2017 - Deutschland

Viele technologisch wichtige Prozesse, etwa in der Energie- und Datenspeicherung, dauern nur so kurze Zeit, dass sie sich eine Billiarde Mal wiederholen müssten, bis eine Sekunde vergangen ist. Wenn Wissenschaftler solche Vorgänge untersuchen, sprechen sie von „Femtosekunden-Physik“ und von „ultraschnellen Prozessen“. Forscher des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) haben nun mit Kollegen aus Hamburg, Berlin und Kalifornien demonstriert, wie sich diese ultraschnellen Abläufe mittels präziser Messungen und einer innovativen Datenanalyse viel genauer als bisher untersuchen lassen.

HZDR / F. Bierstedt

Die Terahertz-Quelle TELBE ist wegen ihrer hohen Wiederholrate derzeit ein gefragtes Testfeld für Forscher, um Diagnostik an im Aufbau befindlichen Röntgen- und Freie-Elektronen-Lasern zu entwickeln.

Der technologische Fortschritt macht es möglich, wichtige Vorgänge in den Material- und Lebenswissenschaften zu „filmen“, um sie besser zu verstehen. Die relevanten Zeitskalen sind hier oft Billiardstel Bruchteile einer Sekunde (Femtosekunden), weshalb das Aufnehmen solcher Hochgeschwindigkeitsfilme immer noch eine große Herausforderung darstellt. Zum Vergleich: Ein Lichtstrahl braucht für die rund 380.000 Kilometer von der Erde zum Mond etwa eine Sekunde. In einer Femtosekunde legt solch ein Lichtpaket nur eine Distanz zurück, die dem Durchmesser eines menschlichen Haares entspricht.

Um sehr schnelle Prozesse zu „fotografieren“ beziehungsweise zu „filmen“, verwenden Forscher Laser und zunehmend Lichtquellen auf Beschleunigerbasis wie Freie-Elektronen-Laser, die sehr kurze Lichtteilchen-Pulse erzeugen. Auch die neue Forschungsanlage „TELBE“ am Elektronen-Beschleuniger ELBE des HZDR ist prinzipiell zu solchen Messungen imstande. Sie ist ein Prototyp für eine neue Generation von Lichtquellen, die starke Lichtpulse im Terahertz-Bereich mit besonders hoher Wiederholrate erzeugen.

Doch die Lichtintensität und Ankunftszeiten verfügbarer Strahlenquellen in Großforschungsanlagen wie dem ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen des HZDR oder dem leistungsstärksten Röntgenlaser der Welt, dem europäischen XFEL, schwanken zu stark, um viele der erhofften Untersuchungen zu realisieren. Anstatt wie bisher zu versuchen, die Stabilität des Elektronen-Beschleunigers ELBE am HZDR zu verbessern oder Messungen mit „schlechten“ Pulseigenschaften auszusortieren, haben die beteiligten Wissenschaftler nun ein Verfahren entwickelt, um die Intensität, die Ankunftszeit und weitere Eigenschaften jedes einzelnen Pulses von diesen Lichtquellen mit hochempfindlichen Monitoren sehr präzise auszumessen. Diese Aufzeichnungen über die ursprünglichen Messimpulse ordnen sie dann den Experimentdaten zu.

Die Unregelmäßigkeiten in den Lichtteilchen-Paketen sind damit nicht mehr eine Störung des Experiments, sondern liefern wertvolle Zusatzinformationen, beispielsweise darüber, wie sich die Proben unter unterschiedlichen Bestrahlungsstärken verhalten. „Für uns gibt es keine schlechten Daten mehr, alle Messungen sind jetzt gleichermaßen wertvoll – unabhängig von der Schwankung zum Beispiel in der Ankunftszeit der Lichtpulse im Experiment oder ihrer Intensität“, erklärt Dr. Michael Gensch, der mit seiner HZDR-Arbeitsgruppe die Entwicklung vorangetrieben hatte.

Herausforderung „Big Data“

„Wir nutzen dafür die enormen Fortschritte der Computertechnik“, betont der Strahlrohr-Wissenschaftler Sergey Kovalev von der TELBE-Anlage. „Was wir jetzt machen, auf diese Idee wäre vor ein paar Jahren noch niemand gekommen, weil dabei enorm große Datenmengen entstehen und verarbeitet werden müssen.“ Insofern könne man auch von einer „Big Data“-Herausforderung sprechen: Binnen zwei Wochen Messzeit können schon ein halbes Petabyte an Experimentaldaten entstehen. Dies entspricht etwa dem Inhalt von rund 55.000 DVDs.

Doch das ist erst der Anfang: Das bisher verwendete Detektorsystem, das die Werte sammelt, kann Wiederholraten bis zu 100 Kilohertz – 100.000 Messwerte pro Sekunde – verarbeiten. Kooperationspartner am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg, am Karlsruher Institut für Technologie KIT und am Paul-Scherer-Institut in der Schweiz arbeiten bereits an einer Detektor-Sonderanfertigung, die 45-mal so schnell sein wird, also mit viereinhalb Megahertz klar kommt. Entsprechend stark wachsen dann die Mengen erzeugter Experimental-Rohdaten. „Da sind auch noch viele Fragen zu beantworten: Wie und wann man diese Daten auswertet, wie man sie abspeichert und für die Nutzer verfügbar macht“, schätzt Gensch ein. „Bis zum nächsten Jahr wollen wir einen Aufbau entwickeln, der für den europäischen Röntgenlaser XFEL geeignet ist. Bis dahin wollen wir diese Fragen soweit wie möglich geklärt haben.“

Das Verfahren, entwickelt im Rahmen des europäischen Projektverbunds EUCALL, funktioniert momentan bis auf 30 Femtosekunden genau. Es kann aber prinzipiell noch weiter verbessert werden, wie die Forscher in ihrer Studie beschreiben. Beteiligt an der Entwicklung des neuen Verfahrens waren neben dem HZDR Wissenschaftler des Deutschen Elektronen Synchrotrons DESY in Hamburg, des Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck Gesellschaft in Berlin sowie des SLAC National Accelerator Laboratory in Menlo Park/USA.

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