Wie Protonen durch eine Brennstoffzelle wandern
Neuer Leitfähigkeitsmechanismus von Ionen entdeckt
Empa
Bei elektrochemischen Energiespeichern und -wandlern wie Batterien und Brennstoffzellen spielen Elektronen und Ionen als Ladungsträger die Hauptrolle. Für Brennstoffzellen ist die Protonenleitfähigkeit entscheidend; Protonen, also positiv geladene Wasserstoff-Ionen, entstehen aus Wasserstoff, mit dem die Brennstoffzelle betrieben wird. Der Empa-Physiker Artur Braun und Qianli Chen, Doktorandin an der ETH Zürich, führten an der «Swiss Spallation Neutron Source» (SiNQ) des Paul Scherrer Instituts (PSI) Neutronenstreuungsexperimente durch, die die Beweglichkeit von Protonen im Kristallgitter dokumentieren. Dabei beobachteten sie, dass die Protonenbewegungen in keramischen Brennstoffzellen weit komplexeren Gesetzmässigkeiten gehorchen, als bisher angenommen: Die Wanderung der Protonen erfolgt gemäss dem so genannten Polaronen-Modell, wie die Forscher vor kurzem in dem Fachblatt «Nature Communications» berichteten.
Das Polaronen-Modell
Die Polaronen-Theorie hatte der russische Physiker und spätere Nobelpreisträger Lew Davidowitsch Landau 1933 entwickelt; sie galt lange Zeit nur für Elektronen. Das Modell beschreibt, wie Elektronen sich durch einen dielektrischen Kristall «zwängen» und dabei «störende» Atome aus ihrer Position drücken. Dies vermindert die Geschwindigkeit der Elektronen. Polaronen sind also Bewegungswellen im Kristall, deren Ausbreitung sich wie die Flugbahn eines Teilchens beschreiben lässt. Sie können abgelenkt und gespiegelt werden.
Das Elektron-Polaron ist längst eine Säule der theoretischen Physik und in der Fachwelt unbestrittene Grundlage für angewandte Modellrechnungen. Im Gegensatz dazu war die Existenz eines Wasserstoff-Polarons – also ein von Position zu Position «hüpfendes» Wasserstoff-Ion – bislang nur spekulative Theorie. Zwar nutzen Biologen das Modell hüpfender Wasserstoffatome, um bestimmte Stoffwechselprozesse zu erklären. Unter Festkörperphysikern galten Wasserstoff-Polaronen hingegen nicht als valables Erklärungmodell.
Das könnte sich nun ändern: Braun und Chen konnten an Hand von Versuchen mit Yttrium-dotierten Barium-Ceroxid- und Barium-Zirkonoxid-Kristallen die Existenz des Proton-Polarons belegen. Diese Kristalle sind in trockenem Zustand nichtleitend. Setzt man sie einer Wasserdampfatmosphäre aus, dann bilden sich im Inneren der Kristallstruktur OH-Gruppen. Freiwerdende Protonen können dann wellenartig wandern. Das Oxid wird dadurch ionisch leitend.
Hitze und Hochdruck liefern den Beweis
Den Beweis für die Wellen von Wasserstoff-Ionen fanden Braun und Chen, indem sie die Kristalle unter verschiedenen Hochdruckbedingungen und bei Temperaturen von bis zu 600 Grad Celsius untersuchten. Die gute Vernetzung der Empa in der Wissenschaftswelt war dabei enorm wichtig: Die Durchleuchtung der Proben geschah an der Neutronenquelle des PSI, die Hochdruckexperimente an den Kristallen gelangen zusammen mit Forschern des Instituts für Geowissenschaften der Goethe-Universität in Frankfurt am Main
Ergebnis: Die Leitfähigkeit nimmt bei Temperaturen zwischen 220 und 520 Grad genau in dem Masse zu, wie es Modellrechnungen für die Gitterschwingungen des Kristalls vorhersagen. Die Protonen sind also zunächst im Kristallgitter gebunden und beginnen bei Erwärmung im Konzert der Gitterschwingungen durch den Kristall von einer OH-Gruppe zur nächsten zu hüpfen. Setzt man den Kristall mit einer Spezialpresse hohem Druck aus, bleibt weniger Platz für die Protonen-Sprünge – die Leitfähigkeit nimmt wieder ab. Damit ist bewiesen, dass das Polaronen-Modell nicht nur für Elektronen, sondern auch für Protonen gilt. «Und wer weiss, womöglich gilt die Theorie auch für andere Ionen wie Lithium», spekuliert Empa-Forscher Braun.
Die Erkenntnisse der Empa-Forscher könnten bald schon entscheidende Hinweise für die Materialwahl von Brennstoffzellen und Wasserstoffspeichern geben und damit die Energieversorgung der Zukunft beeinflussen. Aber auch das Verhalten von keramischen Isolatoren lässt sich nun besser abschätzen: Isolieren Sie auch an feuchter Aussenluft unter hohen Temperaturen noch gut? Oder entstehen Kriechströme, die auf Polaronen-Leitung zurückzuführen sind? Mit Brauns und Chens Arbeit, die vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gefördert wurde, lassen sich also einige Rätsel der Materialwissenschaften lösen.