Zeitfenster für das 1,5-Grad-Ziel schließt sich

09.08.2017 - Deutschland

Das Erdklima ist aus dem Gleichgewicht geraten: Weil sich in der Atmosphäre immer mehr CO2 sammelt, erwärmt sich der Planet seit Beginn der Industrialisierung. Selbst ein sofortiger Stopp aller Emissionen würde die globale Erwärmung aber nicht auf einen Schlag beenden, zeigt eine Studie von Thorsten Mauritsen, Leiter einer Forschungsgruppe am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie, und seinem Kollegen Robert Pincus, Wissenschaftler der University of Colorado: Zur bisherigen Erwärmung von 0,8 Grad Celsius kämen in diesem Fall alleine bis Ende des Jahrhunderts noch etwa 0,3 Grad Celsius hinzu.

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Symbolbild

Das Klima ist ein ausgesprochen träges System – auf Veränderungen reagiert es daher nur sehr langsam und kommt erst nach langer Zeit wieder ins Gleichgewicht. Das beobachten Forscher auch beim Klimawandel, der mit dem Industriezeitalter begonnen hat: „Die überschüssige Energie, die derzeit ins Erdsystem hineinfließt, wird hauptsächlich von den Ozeanen aufgenommen“, erläutert Thorsten Mauritsen vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Gäbe es keine Ozeane, würde die Temperatur der Atmosphäre also noch schneller steigen. Doch die gewaltigen Wassermassen in den Weltmeeren brauchen lange, um sich aufzuwärmen. „Sie haben eine lange Reaktionszeit, weil sie eine große Wärmekapazität haben“, sagt Mauritsen. Die Meere hängen daher der globalen Erwärmung stets hinterher und würden sich somit auch dann noch weiter aufheizen, wenn die Menschheit ab sofort keine weiteren Treibhausgase ausstoßen würde.

Wie groß diese schon jetzt vorbestimmte Erwärmung ist – also die Erwärmung, die durch die bisherigen Emissionen bereits verursacht wurde, aber erst in Zukunft eintreten wird – haben Mauritsen und sein Kollege Robert Pincus von der University of Colorado jetzt mit einer einfachen Methode ermittelt. Die Ergebnisse stellen sie in der Zeitschrift Nature Climate Change vor. Im Gegensatz zu bisherigen Studien verzichteten sie auf den Einsatz komplexer Klimamodelle und nutzten stattdessen ausschließlich Beobachtungsdaten. Damit berechneten sie, wie empfindlich das Klima auf das Treibhausgas CO2 reagiert.

CO2 überdauert viele Jahrtausende in der Atmosphäre

Da CO2 nicht das einzige Gas ist, das bei der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas freigesetzt wird, bezogen Mauritsen und Pincus auch weitere Emissionen mit in ihre Untersuchung ein, und zwar Aerosolpartikel und andere Treibhausgase wie Methan, Stickoxide und Kohlenmonoxid. Während CO2 viele Jahrtausende in der Atmosphäre überdauert und in dieser gesamten Zeit seine wärmende Wirkung ausübt, verschwinden Aerosole bereits nach wenigen Tagen wieder aus der Luft. Methan, Stickoxide und Kohlenmonoxid sind ebenfalls recht kurzlebig, ihre Lebensdauer in der Atmosphäre beträgt weniger als zehn Jahre.

Die Wirkung der Luftschadstoffe ist aber unterschiedlich: Aerosole reflektieren das Sonnenlicht ins Weltall und üben dadurch einen kühlenden Effekt auf das Klima aus. „Diese Partikel kaschieren einen Teil der durch das Treibhausgas CO2 verursachten Erwärmung“, so Mauritsen. Würden sämtliche fossilen Emissionen gestoppt, wäre aufgrund des Wegfalls der kühlenden Aerosole zunächst ein kurzer Erwärmungsschub zu erwarten. Eine umgekehrte Wirkung hätte die Abnahme der kurzlebigen Treibhausgase Methan, Stickoxide und Kohlenmonoxid: Ihr Verschwinden würde die Erwärmung etwas mildern.

Die möglichen Erwärmung liegt zwischen 0,7 und 1,8 Grad Celsius

Für ihre Studie nahmen Mauritsen und Pincus an, dass alle Emissionen im Jahr 2017 schlagartig aufhören. In diesem Fall, so das Ergebnis, würde sich das Erdklima langfristig – also nach einigen Jahrtausenden – bei einer Temperatur einpendeln, die 1,5 Grad Celsius über dem Niveau des Jahres 1850 liegt. Bislang hat sich die Erde gegenüber der Durchschnittstemperatur vor Beginn der Industrialisierung bereits um 0,8 Grad erwärmt. „Zu diesem Wert würden also noch einige Zehntel hinzukommen“, erläutert Mauritsen. Bis Ende des 21. Jahrhunderts läge die Erwärmung der Studie zufolge bei 1,3 Grad Celsius im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten. Den größten Teil des Weges bis zum Gleichgewicht würde das Klima demnach bereits in diesem Jahrhundert zurücklegen.

In einer weiteren Variante ihrer Berechnungen berücksichtigten Mauritsen und Pincus zusätzlich, dass die Ozeane als CO2-Senke ebenfalls träge reagieren. Sie nehmen nach und nach einen Teil des Kohlendioxids auf, das sich in der Atmosphäre ansammelt. Dieser Effekt milderte die vorbestimmte Erwärmung auf 1,1 Grad Celsius. Die mögliche Spanne lag der Studie zufolge in diesem Fall zwischen 0,7 und 1,8 Grad Celsius. 

Das 1,5-Grad-Ziel ist noch nicht völlig unrealistisch

Der Wert der Studie liegt den Autoren zufolge darin, dass sich auf ihrer Grundlage ermitteln lässt, wie realistisch bestimmte Temperaturziele  sind – etwa das im Pariser Klimaabkommen vereinbarte Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Mauritsen und Pincus zufolge besteht eine Wahrscheinlichkeit von 13 Prozent, dass die bislang ausgestoßenen Emissionen schon ausreichen, um die Erde auf Dauer mehr als 1,5 Grad zu erwärmen – dass das Pariser Ziel also bereits verfehlt ist. Die Unsicherheit in den Berechnungen rührt daher, dass derzeit noch nicht genau bekannt ist, wie sensibel das Klimasystem auf die steigenden CO2-Konzentrationen reagiert.

Daher ist es auch möglich, dass das Ziel noch erreicht werden kann. Das Zeitfenster dafür schließt sich allerdings schnell: „Bei der derzeitigen Emissionsrate dauert es noch etwa 15 bis 30 Jahre, bis das Risiko, das 1,5-Grad-Ziel zu überschreiten, fünfzig Prozent erreicht“, berichtet Mauritsen. Der Forscher war vor der Studie noch davon überzeugt, dass das 1,5-Grad-Ziel schon heute nicht mehr realistisch ist. „Ich war ein bisschen irritiert, dass dieses Ziel bei den Verhandlungen zum Paris-Abkommen überhaupt diskutiert wurde“, sagt der Forscher. „Aber als ich mich immer mehr in die Literatur eingelesen habe und dann eigene Berechnungen angestellt habe, musste ich irgendwann einsehen, dass es nicht völlig unmöglich ist. Das ist doch ein positives Ergebnis.“

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