Ultrakurze Momentaufnahmen der Dynamik von Elektronen in Festkörpern
MPQ, FG Attoelectronics
Wenn Röntgenstrahlen auf Festkörpermaterialien oder große Moleküle treffen, wird ein Elektron von seinem angestammten Platz in der Nähe des Atomkerns weggeschubst, und zurückbleibt ein sogenanntes „Loch“. Bereits seit langem wird vermutet, dass die frei gesetzten Elektronen mit dem positiv geladenen Loch ein neues „Quasiteilchen“ bilden, es handelt sich dabei um kernnahe Exzitonen (im Englischen „core-excitons“ genannt). Doch bislang ließ sich deren Existenz nicht zweifelsfrei beweisen. Es gibt eine Reihe von Werkzeugen, um gewöhnliche, von normalem Licht erzeugte Exzitonen in Festkörpern zu beobachten. Diese werden auch bereits auf vielfältige Weise in der Mikro- und Optoelektronik genutzt. Im Gegensatz dazu sind kernnahe Exzitonen extrem kurzlebig, und bislang gab es keine Techniken, ihre Bewegung nachzuverfolgen und daraus auf ihre Eigenschaften zu schließen.
Ein Team von Wissenschaftlern um Dr. Eleftherios Goulielmakis, dem Leiter der Forschungsgruppe „Attoelectronics“ am Max-Planck-Institut für Quantenoptik, war jetzt in der Lage, die Dynamik von kernnahen Exzitonen in einem Festkörper in Echtzeit aufzuzeichnen. Mit Hilfe von Röntgenblitzen, die nur einige hundert Attosekunden lang dauerten, jeweils gefolgt von ähnlich kurzen optischen Lichtblitzen (dieses Werkzeug wurde im vergangenen Jahr von der Gruppe entwickelt) verfügten die Wissenschaftler über eine Art Kamera, mit der sie erstmals Schnappschüsse der Bewegung von kernnahen Exzitonen in Siliziumdioxid aufnehmen konnten.
„Kernnahe Exzitonen leben nur eine sehr kurze Zeit, weil ihre Bewegung durch die Wechselwirkung mit anderen Teilchen im Festkörper schnell gestoppt wird“, erklärt Antoine Moulet, Erstautor dieser Arbeit. „In der Sprache der Quantenmechanik würden wir sagen, dass das Exziton seine Kohärenz verliert“, fügt er hinzu.
Das Schlüsselwerkzeug, die Dynamik von kernnahen Exzitonen zu beobachten, sind die in der Forschungsgruppe Attoelectronics entwickelten Attosekunden-Lichtpulse im optischen Bereich. Die entsprechende Arbeit wurde im vergangenen Jahr veröffentlicht. „Die Röntgenblitze in unserem Experiment dienen dem Zweck, Exzitonen im Festkörper anzuregen. Die optischen Attosekundenpulse ermöglichen es uns dagegen, deren Bewegung in Echtzeit aufzulösen“, erläutert Julien Bertrand, ein ehemaliger Wissenschaftler in der Gruppe von Goulielmakis, der jetzt eine Assistenzprofessur an der Universite Laval im kanadischen Quebec innehat. „Die Kombination der beiden verschiedenartigen Pulse erlaubt es uns, Momentaufnahmen der Bewegung von kernnahen Exzitonen aufzuzeichnen, die nur ungefähr 750 Attosekunden lang leben.“
Aber die Untersuchungen beschränkten sich nicht darauf, die schnellen Bewegungen der Elektronen innerhalb des Festkörpers einzufangen. „Wir konnten darüber hinaus Information über die Eigenschaften der Exzitonen gewinnen, wie etwa ihre winzige Ausdehnung, die kaum größer als die eines einzigen Atoms ist, oder z.B., inwieweit sie von sichtbaren Licht polarisiert werden“, führt Goulielmakis aus. „Unsere Technik bedeutet einen Fortschritt für die „Exzitonik“, das ist die Messung, Kontrolle und Anwendung von Exzitonen im Röntgenbereich. Gleichzeitig ist sie auch ein vielseitiges Werkzeug, ultraschnelle Prozesse in Festkörpern, die durch Röntgenstrahlen ausgelöst werden, auf ihren natürlichen Zeitskalen zu untersuchen. Diese Möglichkeit hat es bisher in den Röntgenwissenschaften noch nicht gegeben.“
Jetzt denkt das Team über mögliche Anwendungen der Technik für die Beobachtung ultraschneller Prozesse an Grenzflächen von Festkörpern nach, sowie über neue Wege, ultraschnelle Schalter für Röntgenstrahlung auf der Basis von optischen Lichtfeldern zu realisieren. „Angesichts der Tatsache, dass weltweit immer mehr Freie-Elektronen-Laser für Röntgenstrahlung gebaut werden, wird es immer wichtiger, Röntgenstrahlung mit sichtbarem Licht zu steuern“, betont Goulielmakis.