Chinesen erfinden neue Geheimtinte
Neues Mittel für Spione?
(dpa) Im Kalten Krieg blühte das Geheimwesen: Mal Banales, mal Hochbrisantes versuchten Agenten in Ost und West mit unsichtbaren Schriften über Grenzen zu schmuggeln. Auch die Nazis suchten im Zweiten Weltkrieg händeringend nach einer Tinte, die Amerikaner und Briten nicht entschlüsseln konnten. Heute ist Zaubertinte aus Sicht von Experten kein wichtiges Mittel mehr im Informationskampf der Geheimdienste. Glaubt man einer Gruppe chinesischer Wissenschaftler, könnte sich das bald wieder ändern.
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Denn die Geheimtinte, die die Forscher um Liang Li von der Jiao Tong Universität Shanghai im Fachblatt «Nature Communications» vorstellen, soll sicherer sein als ihre Vorläufer. Entscheidender Vorteil: Sie lässt sich mehrmals sichtbar und wieder unsichtbar machen.
«Es war immer eines der Hauptprobleme, dass die Tinte nur einmal sichtbar gemacht werden konnte», sagt Florian Schimikowski vom Deutschen Spionagemuseum in Berlin mit Blick auf das Gros der bekannten Techniken. Der Experte hat die Geschichte der Geheimtinten bis in die Antike verfolgt.
Bereits 200 Jahre vor Christus beschrieb der griechische Erfinder Philon von Byzanz ein Verfahren, das Kinder heute noch beim Spielen einsetzen: Als Tinte verwendet, ist Zitronensaft auf Papier kaum zu erkennen. Erwärmt man das Papier, wird die Schrift deutlich sichtbar.
Die Geheimtinte der Chinesen ist komplexer: Anders als die meisten bekannten Tinten bleibt die farblose Flüssigkeit, die aus sogenannten Metall-organischen Gerüsten (MOFs) auf Blei-Basis besteht, auch bei Wärme oder unter UV-Lampen unsichtbar. Sichtbar wird sie demnach erst nach Kontakt mit Halogenid-Salzen, wenn sie mit UV-Licht bestrahlt wird. Mit Methanol lässt sich dieser Effekt wieder aufheben.
Doch hätten Geheimdienste dafür heute überhaupt noch Verwendung? Schließlich ist die Kommunikation meist elektronisch und digital organisiert.
Beim Bundesnachrichtendienst (BND) will man sich nicht in die Karten schauen lassen. Über seine aktuelle Arbeitsweise gebe der Auslandsgeheimdienst nur der Bundesregierung und den zuständigen Stellen des Deutschen Bundestags Auskunft, erklärt ein Sprecher. In die Geschichte der Steganografie - der Kunst der verborgenen Nachrichtenübermittlung - gewährt der BND trotzdem Einblick.
So seien in den 1950er und 1960er Jahren Informationen unter anderem auf Stofftaschentüchern aufgebracht worden. «Die Textile wurden als Geschenke überreicht. Die Sichtbarmachung der Nachricht erfolgte mit einer einfachen, Laien zumutbaren Methode», heißt es vage und geheimniskrämerisch. Auch von unscheinbaren Urlaubs-Postkarten berichtet der BND, die Spione mit Geheimtinte präparierten: «Mit bestimmten Chemikalien konnte der Empfänger den Text selbständig entwickeln und lesen.»
Während die Tinte in all diesen Fällen zunächst nass aufgetragen wurde, erzählt Schimikowski von einer weiteren, trockenen Methode. Die soll beispielsweise der Ururenkel des berühmten Chemikers Justus von Liebig angewandt haben, Adolf Henning Frucht: Als DDR-Wissenschaftler lieferte er unter anderem mit Hilfe eines präparierten Seidenschals Geheimnisse an die USA.
«Der Schal war mit Geheimtinte getränkt», sagt Schimikowski. Nach dem Trocknen der Tinte ließ sich das Spionagewerkzeug unscheinbar am Hals tragen. Mit einem stumpfen Gegenstand und sanftem Druck ließ sich die Geheimtinte aus dem Schal dann auf Papier durchpausen. «Danach musste das leere Blatt nur noch mit einer anderen Nachricht beschrieben werden», um kein Aufsehen zu erregen, sagt Schimikowski. «Leere Blätter sollte man nicht verschicken.»
Der Vorteil: Frucht musste keine verdächtigen Chemikalien mit sich herumtragen, um geheime Botschaften anzufertigen. Aus Sicht Schimikowskis und des BND ist es genau das, was eine gute Zaubertinte ausmacht.
Es ging aber auch anders: Hatten Agenten sonst nichts zur Hand, seien Körpersäfte genutzt worden, sagt Schimikowski: «Urin, Sperma, all das kann man gut verdünnt nutzen. Deswegen hat der Gründer des britischen Auslandsgeheimdiensts MI-6 einmal behauptet, dass jeder Mann seinen eigenen Füllfederhalter dabei hat.» Der Schwachpunkt: Die Körpersaft-Tinte lässt sich mit Wärme leicht sichtbar machen. Aus Experten-Sicht ist das ein gravierender Mangel.
«Gute Geheimschriften sind so gemacht, dass man sie mit den gängigen Verfahren nicht erkennen kann», betont Schimikowski und liefert so ein Argument für das aufwendige Verfahren der chinesischen Forscher.
Dass deren Geheimtinte durch den Fachartikel nun weltweit bekannt ist, dürfte bei CIA & Co jedoch keinen allzu großen Ärger auslösen. 2011 gewährte der US-Geheimdienst erstmals Einblick in Unterlagen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, gegen deren Veröffentlichung er sich bis dahin gewehrt hatte.
Brisant waren die Informationen allerdings nicht: «Altbackene» Techniken für den Einsatz von Geheimtinten seien darin beschrieben gewesen, sagt Schimikowski. «Dass die so ein Brimborium darum gemacht haben, ist natürlich seltsam, zeigt aber, dass das damals noch nicht ganz irrelevant war.»