Die spannendsten Wissenschaftsnachrichten des Jahres 2017

22.12.2017 - Großbritannien

(dpa) Das Top-Wissenschaftsereignis 2017 fand schon vor 130 Millionen Jahren statt: Die im Sommer von Tausenden Astrophysikern beobachtete Verschmelzung zweier Neutronensterne am Rande einer fernen Galaxie kürte das US-Journal «Science» zum Durchbruch des Jahres. Aber auch biomedizinische Fortschritte und sogar ein neu entdeckter Menschenaffe machten das Wissenschaftsjahr reicher. Ein Überblick über die, laut «Science», spannendsten Erfolge:

CristianFerronato, pixabay.com, CC0

Kosmische Kollision: Als Forscher an den ultrasensitiven Ligo- und Virgo-Detektoren in den USA und Italien im Sommer 100 Sekunden lang winzige Kräuselungen der Raumzeit maßen, ahnten sie, dass Noch-Nie-Gesehenes bevorstand: Die Kollision zweier Neutronensterne. Als kurz darauf Weltraumteleskope auch einen Gammastrahlenblitz registrierten, richteten sich Satelliten und über 70 Großteleskope auf den Ort des Geschehens am Rande einer 130 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie. Noch nie wurde ein kosmisches Ereignis, das gleich mehrere astrophysikalische Theorien bestätigte, so intensiv beobachtet und vermessen. Ein konzertierter Erfolg internationaler Zusammenarbeit von mehr als 3500 Forschern.

Orang-Utan Nummer 3: Die Familie der Menschenaffen ist mit dem Tapanuli-Orang-Utan 2017 um ein Mitglied reicher geworden. Forscher aus Zürich stellten anhand von DNA-Tests und der Anatomie der Tiere fest, dass die in den abgeschiedenen Tapanuli-Distrikten auf Sumatra lebenden Primaten eine eigene Spezies sind. 1997 waren die Affen entdeckt worden. Man hatte sie jedoch für Sumatra-Orang-Utans gehalten - neben den Borneo-Orang-Utans die zweite Orang-Utan-Art. Von denen hatten sie sich jedoch schon von 647.000 Jahren abgespalten, stellten die Wissenschaftler fest. Sie fordern nun mehr Schutzmaßnahmen, um den nur noch 800 Tiere umfassenden Bestand des Pongo tapanuliensis zu erhalten.

Leben in Atomgröße: Die Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) erlaubt völlig neue Einblicke in komplexe Moleküle, Viren oder Bakterien und hat ihren Pionieren in diesem Jahr bereits den Chemie-Nobelpreis eingebracht. Die neue Mikroskopietechnik nutzt flüssiges Ethan, um Moleküle mitten in der Bewegung schock zu gefrieren. Dann können Forscher die Strukturen mittels spezieller Computerprogramme detailgenau und fast auf Atomgröße analysieren. So wurde beispielsweise bereits das Protein beta-Amyloid untersucht, das sich im Gehirn von Alzheimer-Patienten ablagert, ebenso das Zika-Virus. Selbst der Genschere Crispr kann man dank Kryo-EM bei der Arbeit zusehen.

Punktgenaues Gen-Editing: Die Genschere Crispr hat 2017 ein Upgrade bekommen, das bis in die Korrektur der einzelnen DNA-Bausteine, der Basen, hinabreicht. Denn Crispr kann DNA zwar zuverlässig schneiden, sie aber nicht immer zuverlässig reparieren. Hintergrund: Von den über 60.000 genetischen Abweichungen, die Krankheiten verursachen, sind fast 35.000 nur durch einen winzigen Basenfehler im Genom verursacht. Harvard-Forscher entwickelten nun ein Verfahren, das die vier Basen, aus denen die DNA sich zusammensetzt, punktgenau ansteuert. Dieses sogenannte Basen-Editing funktioniert sogar in der RNA, die die DNA-Information weiterträgt.

Krebs-DNA im Visier: In den USA ist erstmals ein Medikament für solide Tumore zugelassen worden, das Krebszellen aufgrund ihrer DNA bekämpft - und zwar völlig unabhängig vom Ort, an dem der Tumor wächst. Einzige Bedingung: Die Krebszellen müssen eine bestimmte Mutation aufweisen, die verhindert, dass Fehler in der DNA repariert werden. 2015 hatten Ärzte aus Baltimore in einer kleinen Studie mit Darmkrebspatienten festgestellt, dass der Antikörper Pembrolizumab nur denjenigen half, die diese Mutation hatten. 2017 bestätigte sich dies bei einer Studie, die schwerkranke Patienten zwölf verschiedener Krebsarten umfasste. Offenbar hatte das Immunsystem die Zellen mit den angesammelten Mutationen erkannt und zerstört. Ein erster Schritt, auf den weitere folgen werden, hoffen Onkologen.

Uraltes Eis: Winzige Luftbläschen, eingeschlossen in einem Eisbohrkern aus der Antarktis, geben Aufschlüsse über das Klima unseres Planeten vor 2,7 Millionen Jahren zu Beginn des Eiszeitalters. Forscher der US-Universitäten Princeton und Maine hatten den Fund des ältesten Eis' der Welt im Sommer verkündet. Gebohrt hatten sie in den Blaueisfeldern der abgelegenen Allan Hills bereits 2015. Dort liegt uraltes Eis näher an der Oberfläche. Erste Analysen zeigten, dass die CO2-Werte der Atmosphäre damals bei 300 ppm und damit deutlich unter den heutigen in Höhe von 400 ppm lagen.

Uralter Homo Sapiens: Dem Gespür eines Forschers des Leipziger Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie ist es zu verdanken, dass die ältesten Relikte des Homo sapiens auf 300.000 Jahre zurückdatiert wurden: Ein Schädel, der bereits 1961 in Marokko ausgegraben und für einen Neandertaler gehalten worden war, wurde nach weiterer Untersuchung und dem erneuten Durchsuchen der Fundstelle neu bewertet. Das Forscherteam hatte in Marokko weitere Knochenstücke sowie Flintsteine entdeckt, die auf 280.000 bis 350.000 Jahre zurückdatiert werden konnten. Zuvor hatten versteinerte Knochen aus Äthiopien mit 200.000 Jahren als älteste Überbleibsel des modernen Menschen gegolten.

Gentherapie-Erfolge: Gleich mehrere erfolgreiche Ansätze von Gentherapie gab es 2017 zu feiern. Besonders hoffnungsvoll stimmt eine Therapie gegen Spinale Muskelatrophie, einer angeborenen Form von Muskelschwund, die unbehandelt oft schon vor dem zweiten Geburtstag zum Tod führt. Ärzte verabreichten zwölf betroffenen Babys das ihnen fehlende Gen über ein harmloses Virus als Genfähre intravenös - und damit erstmals über die Bluthirnschranke hinweg ins zentrale Nervensystem. In elf Fällen war die Behandlung erfolgreich. Eine andere Therapie, bei der eigene, gentechnisch veränderte Immunzellen Blutkrebs heilten, ist bereits auf dem US-Markt. Auch eine weitere gegen eine erbliche Form von Erblindung ist zugelassen.

Mini-Falle für Neutrinos: Normalerweise braucht es große Detektoren tief in verlassenen Bergstollen, im Eis der Antarktis oder riesigen Wassertanks um die superflüchtigen Neutrinos bei ihrer Kollision mit Atomen aufzuspüren. Forschern des Coherent-Kollaboratoriums gelang es im Sommer jedoch mit einem kleinen, tragbaren Gerät, die «Geisterteilchen», die Materie meist ungehindert durchdringen, zu beobachten und erstmals eine Art der Neutrinowechselwirkung nachzuweisen. Sie bestätigt nun das Standardmodell der Teilchenphysik.

Biowissen vorab: Biologen sind in diesem Jahr einen Schritt weiter gekommen, um ihre Forschungsergebnisse frühzeitig mit anderen zu teilen. Die bisher vor allem bei Physikern verbreitete Praxis, Neues schon vor der «Absegnung» durch ein Peer Reviewed Journal in der Fachwelt zur Diskussion zu stellen, erhielt viel Zuspruch und Unterstützung. Rund 1500 noch nicht in einem Fachjournal veröffentlichte Arbeiten werden mittlerweile auf der Plattform bioRxiv pro Monat hochgeladen.

Originalveröffentlichung

«Science», Bd. 358, S. 1520

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