Jahr der Chemie: Friedrich August Kekulé von Stradonitz
Durch Kekulé gelangte die Bonner Chemie zu Weltruhm
"Lernen wir träumen, dann finden wir vielleicht die Wahrheit. Aber hüten wir uns, unsere Träume zu veröffentlichen, ehe sie durch den wachenden Verstand geprüft worden sind", sprach Kekulé am 11. März 1890 auf einer zu seinen Ehren ausgerichteten Feier der Deutschen Chemischen Gesellschaft zum 25-jährigen Jahrestag der Benzoltheorie. Als junger Professor hatte er in seinem Genter Arbeitszimmer den berühmten Traum, der die Antwort auf eine alte Frage der Chemie brachte: "Wieder gaukelten die Atome vor meinen Augen. Lange Reihen, vielfach dichter zusammengefügt; alles in Bewegung, schlangenartig sich windend und drehend. Und siehe, was war das? Eine der Schlangen erfasste den eigenen Schwanz und höhnisch wirbelte das Gebilde vor meinen Augen." Die Idee der ringförmigen Anordnung der sechs Kohlenstoffatome des Benzols war geboren, einer in Erdöl und Kohle vorkommenden Substanz, und seiner Abkömmlinge, den sogenannten Aromaten. Vor Kekulés Theorie gab es nur vage Vorstellungen, wie die Atome in einem Molekül miteinander verknüpft sind. Er erkannte, dass Kohlenstoffatome sich mit bis zu vier anderen Atomen verbinden. Sie knüpfen auch Bindungen untereinander und bilden Moleküle, die aus Kohlenstoffketten bestehen. Überraschend einfach machte er so die Vielfalt der Kohlenstoffverbindungen verständlich und brachte Ordnung in das Wirrwarr. Benzol blieb dennoch eine offene Frage, bis Kekulé 1865 für die Struktur des Benzolmoleküls ein Sechseck postulierte. Kekulés Arbeiten trugen entscheidend zur Entwicklung der organischen Chemie bei und führte zu einem Boom der deutschen Chemieindustrie, allen voran der Farbstoffhersteller.
Als Kekulé 1867 nach Bonn kam, war das neue chemische Institut im Rohbau fertig. Der 38-Jährige prägte entscheidend die Innenausstattung des ungewöhnlich großen Gebäudes; es war das am besten ausgestattete Deutschlands. Sein Ruhm zog viele deutsche und ausländische Studenten an den Rhein. In einem Brief an seinen späteren Schüler Otto Wallach schrieb Kekulé: "Sollten Sie sich dazu entschließen, hierher zu kommen, so bin ich sicher, es wird Ihnen hier gefallen. Fern vom Getriebe der Stadt leben wir ein wissenschaftliches Künstlerleben auf dem Lande." Bald platzte das Gebäude bei der immer steigenden Zahl der Studenten aus allen Nähten. Als Kekulé 1873 einen Ruf auf die Nachfolge seines Lehrers Justus von Liebig nach München ablehnte, bewilligte das preußische Kultusministerium einen Anbau.
Kekulé war nicht nur ein begnadeter Forscher, sondern auch ein hervorragender Lehrmeister und Redner. "Er pflegte die Formeln malend und diskutierend auf einem abgerissenen Stück Filtrierpapier zu entwickeln, dabei unbeabsichtigt zu dem vortrefflichsten Lehrer werdend, den man sich denken konnte", erinnerte sich der spätere Nobelpreisträger Otto Wallach. Seine Vorlesungen hielt Kekulé völlig frei und jede war ein in sich abgerundetes Meisterwerk. Viele seiner Schüler wurden später selbst Professoren oder waren erfolgreich in der chemischen Industrie.
Kekulés Erfolg ist auch ein Ansporn für seine Nachfolger. Professor Dr. Fritz Vögtle vom Kekulé-Institut für Organische Chemie und Biochemie der Universität Bonn sagt: "Originelle und zündende Ideen braucht die Forschung auch heute. Das Renommee einer Universität, aufbauend auf einer hervorragenden Grundlagenforschung und Lehre, spiegelt sich in der Industrie wieder, die letztendlich davon profitiert."
Sieben Jahre nach Kekulés Tod im Jahr 1896 schenkten die chemische Industrie und seine Schüler der Universität Bonn eine Gedenkstätte. Auf der Enthüllungsfeier des Denkmals am 9. Juni 1903 sagte sein Schüler und Nachfolger Richard Anschütz: "So steht er vor uns, einer der mächtigsten Förderer der Chemie, begabt mit durchdringendem Scharfsinn, reich an gestaltender Phantasie, in seltenstem Maße die Gaben des genialen Forschers mit denen des wortgewaltigen Redners verbindend."