Fest oder flüssig auf Befehl

Elektrofluide verändern ihr Fließverhalten, wenn Spannung angelegt wird

18.06.2003

Smarte Flüssigkeiten haben eine besondere Eigenschaft: Sie werden beim Anlegen von elektrischer Spannung oder Magnetfeldern innerhalb von Sekundenbruchteilen fest. Das macht sie für zahlreiche Anwendungen interessant, wie etwa verschleißarme Bremsen, leistungsfähige hydraulische Anlagen oder haptische Displays.

Ein Knopfdruck genügt - und die gerade noch flüssige, milchig weiße Suspension ist fest und zäh wie Gelee. Möglich machen das elektro-rheologische Flüssigkeiten (ERF). "Die Elektrofluide verändern ihr Fließverhalten, wenn Spannung angelegt wird", erklärt Dr. Holger Böse, Leiter des Bereichs Disperse Systeme am Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC in Würzburg. Bekannt ist der Effekt bereits seit mehr als 50 Jahren. Doch erst jetzt steht die Technologie an der Schwelle zur Anwendung.

Der verblüffende Effekt ist leicht zu erklären: In einer hochisolierenden Flüssigkeit - wie etwa Silicon- oder Mineralöl - sind Milliarden von elektrisch polarisierbaren Teilchen gleichmäßig verteilt. Das ändert sich, sobald Spannung anliegt. In einem elektrischen Feld bilden die Partikel Dipole mit Plus- und Minus-Ladungen und verbinden sich zu langen Ketten. Die Flüssigkeit zwischen den Elektroden wird fest. "Das Ganze geht sehr schnell. Innerhalb von Millisekunden sind die Teilchen polarisiert und die Suspension erstarrt zu einem zähen Gel", sagt der ISC-Wissenschaftler. Schaltet man den Strom ab, zerfallen die Partikelketten und die Suspension ist wieder flüssig. Ähnlich funktionieren auch die magnetorheologischen Flüssigkeiten (MRF). Sie enthalten magnetisierbare Partikel. Legt man ein Magnetfeld an, richten sich diese Teilchen aus, wie Eisenspäne zwischen den Polen eines Hufeisenmagneten.

"Zur Zeit sind die magnetorheologischen Flüssigkeiten in der Anwendung weiter als ihre elektrorheologischen Schwestern", beschreibt Böse den Stand der Entwicklung. Die amerikanische Firma Lord bietet bereits erste Produkte an, die mit magnetorheologischen Flüssigkeiten arbeiten. Die smarten Flüssigkeiten dämpfen Fahrersitze in Lastwagen oder dienen als Bremsen in Fitnessgeräten. Seit vorigem Jahr setzt General Motors sie sogar in Stoßdämpfern von Autos ein. In Deutschland arbeitet das ISC mit Partnern an einem adaptiven Motorlager, das den Fahrkomfort mithilfe von MRF erhöht.

Damit sind die Einsatzmöglichkeiten der magneto- und elektrorheologischen Flüssigkeiten bei weitem noch nicht erschöpft. "Die smarten Flüssigkeiten lassen sich für zahlreiche neue Aktoren nutzen - etwa für verschiedene adaptive Dämpfungssysteme in der Verkehrstechnik, im Maschinenbau oder für haptische Aktoren", zählt Böse weitere Anwendungsfelder auf. Der Vorteil: Sie sind elektrisch steuerbar und stufenlos zu verstellen. Interessant sind die smarten Flüssigkeiten auch für hydraulische Anlagen. Sie können die verschleißanfälligen, mechanischen Ventile ersetzen. Bei elektrorheologischen Verfahren ist die Flüssigkeit selbst das Ventil. Wird Spannung angelegt, verstopft sie wie ein Pfropf - und das bis zu 500 Mal pro Sekunde. Neue Möglichkeiten eröffnen die Flüssigkeiten auch in der Virtuellen Realität. Sie können computergenerierte Welten fühlbar machen. Der Benutzer erhält dann nicht nur einen visuellen und akustischen Eindruck, sondern kann sogar virtuelle Objekte ertasten. Das "virtuelle Fühlen" kann auch in der Telemedizin wertvolle Dienste leisten oder bei Computerspielen eingesetzt werden. Außerdem lässt es sich als Positionierhilfe nutzen, etwa bei einer Maschinensteuerung oder bei Robotergreifarmen.

Wie die smarten Flüssigkeiten funktionieren, zeigen die ISC Forscher auf dem Ausstellungsschiff MS Chemie. Dort stellen sie einen haptischen Drehknopf vor, der mit einer magnetorheologischen Flüssigkeit arbeitet. Der Benutzer fühlt die unterschiedlichen Positionen des Drehknopfes. Der Trick: Abhängig von der Drehposition schaltet ein Magnetfeld die Flüssigkeit auf fest oder flüssig. So wird der Drehwiderstand zwischen hart und weich verändert. Das ist für Bedienelemente im Auto interessant. Der Autofahrer braucht nicht mehr den Blick von der Straße abwenden, um zum Beispiel die Klimaanlage zu regeln, er fühlt auf welcher Position der Knopf steht.

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