Lebende Zellen unter der Lupe: RUB-Biochemiker entwickeln neues Mikroskop

27.11.2003

Ob Elektronen- oder Rastertunnelmikroskop - die meisten der modernen High-Tech-Mikroskope bieten zwar faszinierende Einblicke in winzige Welten, eignen sich jedoch nicht dazu, lebende Zellen zu untersuchen. Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum wollen hier Abhilfe schaffen. Sie tüfteln an einem Ionenleitfähigkeitsmikroskop (engl. Scanning Ion Conductance Microscope - SICM), das nicht nur einzelne Zellen zerstörungsfrei sichtbar machen, sondern auch ihre Öffnungen nach außen - die Ionenkanäle - aufspüren kann. Für sein Projekt, die technischen Schwierigkeiten auf dem Weg zur perfekten Zellaufnahme zu überwinden, hat der Biochemiker Stefan Mann ein Stipendium der Wilhelm und Günter Esser Stiftung bekommen.

Vorliebe für Neuronen

Prinzipiell kann ein Ionenleitfähigkeitsmikroskop zwar alle möglichen Sorten von Zellen abbilden, doch Mann haben es besonders die Neuronen mit ihren langen Ärmchen, den Neuriten, angetan. Damit sich seine Testobjekte wie zu Hause fühlen, bietet er ihnen eine Umgebung, die sie kennen. Umschwirrt von einer Fülle von Ionen wie Natrium und Kalium wachsen sie in einer Nährlösung - wie im Körper. Elektrische Impulse, die im Gehirn von Neuron zu Neuron weitergeleitete werden, regeln, wie viele dieser Ionen die Zellwand durch kleine Öffnungen, die sogenannten Ionenkanäle, von außen nach innen oder umgekehrt passieren können.

Dünnes Glasröhrchen als Sensor

Der wichtigste Teil des Mikroskops - sein "Auge" - ist ein feines Glasröhrchen, weniger als hundert mal so dünn wie ein einzelnes Haar und mit einer Salzlösung gefüllt. Zu einem empfindlichen Sensor wird die recht einfache Vorrichtung, sobald ein Strom durch die Salzlösung fließt. Zwischen der Glasspitze und einer Elektrode, die in die Schale mit den Zellkulturen eingelassen ist, liegt nun eine Spannung an, so dass ein Strom aus Ionen durch die Nährlösung fließt.

Gestörter Strom weist Weg zur Zelle

Dieses Grundprinzip ist der Schlüssel zu sehr verschiedenen Fragestellungen. Aufschluss über feinste Volumenänderungen und Verformungen einzelner Zellen erhält man, indem man mit der Spitze des Mikroskops die Nährlösung Schritt für Schritt "abtastet". Dort wo sich eine Zelle befindet, stört diese den Ionenstrom zwischen Glasröhrchen und Elektrode. "Das ist so, als wenn man sich mit dem Fuß auf einen Gartenschlauch stellt. Der Stromfluss wird unterdrückt", erläutert Mann. Das Messergebnis "kein Strom" ist also ein deutliches Zeichen dafür, dass die Glasspitze direkt über der Zelle schwebt. Rastert man mit dieser Methode das Neuron zu mehreren Zeitpunkten ab, entsteht so ein präzises Bild davon, wie sich seine Größe und Oberflächenbeschaffenheit geändert haben.

Oberflächenkarte der Ionenkanäle

Bei einem weiteren Projekt der Bochumer Wissenschaftler, für das sie sich auf das neue Mikroskop verlassen, geht es um die Ionenkanäle, die sich auf der Zelloberfläche öffnen, um Ionen hinein- oder herausströmen zu lassen. Das Weiterleiten von Reizen im Gehirn hängt empfindlich von diesem Austausch ab. Um dieses Kommen und Gehen zu untersuchen, wird das Glasröhrchen behutsam so nahe an eine Stelle der Zelle herangeführt, bis es fast aufsetzt. Nicht einmal ein einzelnes Ion könnte sich jetzt noch zwischen beiden hindurchquetschen. Wenn sich jetzt ein Ionenkanal öffnet, so hinterlässt der Ionenstrom eine unverkennbare Spur im Messsignal. Als Fernziel schwebt Mann eine Art Oberflächenkarte der Zelle vor, in der genau verzeichnet ist, wo und wann sich die mikroskopischen Pforten öffnen. Lagert man die Neuronen vor der Messung in eine Nährlösung mit zusätzlichen Medikamenten oder Hormonen, könnte man so genau untersuchen, wie sich diese Stoffe auf die Reizübertragung im Gehirn auswirken.

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