Methodischer Durchbruch in der Gentechnologie

30.05.2001

Seit der Entdeckung der Gene sind Wissenschaftler daran interessiert, einzelne Gene auszuschalten, um deren Funktion zu verstehen oder um genetische Fehlentwicklungen und Krankheiten zu verhindern. Bislang war oft jahrelange Arbeit notwendig, um nur ein einziges Gen zu blockieren. Mit einem neuen Verfahren scheint das nun in sehr viel kürzerer Zeit und für beliebige Gene möglich zu sein. Dr. Thomas Tuschl hat dieses Verfahren in Boston (USA) am MIT konzipiert und im letzten Jahr zusammen mit Dr. Sayda Elbashir in seiner Arbeitsgruppe am MPI für Biophysikalische Chemie in Göttingen weiterentwickelt. Ihnen gelang es jetzt in Zusammenarbeit mit Dr. Jens Harborth und Dr. Klaus Weber, spezifisch einzelne Gene in Humanzellen abzuschalten. Damit stellt die Methode einen neuen und sehr effektiven Weg dar, die Funktion von menschlichen Genen zu untersuchen. Das ist vor allem auch deshalb interessant, weil man die Gene zwar inzwischen durch die Sequenzierung des Humangenoms kennt, aber deren Funktion noch vielfach unbekannt ist. Auch verschiedene RNA-Varianten, die gerade die Komplexität des menschlichen Genoms ausmachen, wird man mit der neuen Methode spezifisch und selektiv ausschalten können. Möglicherweise lassen sich mit dem Verfahren langfristig auch genspezifische Defekte eliminieren. Das macht es auch für therapeutische Zwecke interessant.

Wie funktioniert das Verfahren? Gene sind Ketten von Nukleotiden (DNS). Sie werden in Boten-RNAs (mRNA) überschrieben, die dann die Proteine kodieren. Von außen zugeführte spezifische RNA führt zu einer Zerstörung der entsprechenden Ziel-mRNA und damit zum Fehlen des entsprechenden Proteins. Mit anderen Worten, die Methode eliminiert nicht das Gen, sondern nur sein funktionelles Produkt (mRNA und Protein). "Die RNA-Interferenz ist im Prinzip so etwas wie die so genannte anti-sense-Methode," beschreibt Dr. Tuschl das Verfahren. "Dort verwendet man eine RNA-Sequenz, die komplementär zur Boten-RNA ist. Nur geben wir die anti-sense-RNA in Form einer Doppelstrang-RNA zu." Der entscheidende Durchbruch war die Entdeckung, dass die eingeschleusten Ketten genau 21 Nukleotide umfassen müssen. Längere RNA-Stränge rufen im Humansystem eine unspezifische Antwort hervor, ähnlich der Reaktion auf eine Infektion der Zelle. Lediglich kurze Doppelstrang-RNA-Stücke (eben 21 Nukleotide lang) können an diesem Detektionsmechanismus vorbeischlüpfen und dann spezifisch, ohne irgendwelche Nebeneffekte, die Proteinkodierung eines bestimmten Gens abschalten.

Das Verfahren ist sehr viel empfindlicher als andere Verfahren, die zum Blockieren eines einzelnen Gens die 1000-fache Menge anti-sense-RNA bereitstellen müssen. RNA-Sequenzen mit 21 Nukleotiden rekrutieren offensichtlich bislang noch unbekannte Proteine in der Zelle, die dann einen Komplex bilden, der spezifisch die vorgegebene Ziel-RNA erkennt und spaltet. Erst in den letzten Jahren hat man entdeckt, dass es eine solche anti-sense-"Maschine" in jeder Zelle gibt. Und erst seitdem man diese gefunden hat, kann man auch in die RNA-Sequenzen der Zelle eingreifen. "Unser Beitrag war es, diese Maschine zu charakterisieren," sagt Tuschl. "Wie müssen die RNA-Stücke aussehen, damit die Proteine in der Zelle diese RNA-Stücke erkennen und als Vorlage verwenden können?" Geholfen haben den Forschern dabei Beobachtungen an der Fruchtfliege. Wenn man sehr lange Doppelstrang-RNA-Sequenzen in die Zellen einführt, werden sie von einem Enzym in genau 21 Nukleotid lange RNA-Doppelketten gespalten.

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