Der Konzern, der aus der Kälte kam - Linde wird 125

21.06.2004

Wiesbaden (dpa) - Es begann mit einem kleinen Ingenieurbüro in Wiesbaden, das Kühlgeräte für Bierbrauer entwarf - heute ist daraus ein global operierender Technologiekonzern geworden, der aus der Beherrschung der Minusgrade eine Vielzahl profitabler Anwendungen entwickelt hat. Am Montag (21. Juni) wird der Anlagenbauer und Gasespezialist Linde 125 Jahre alt.

Firmengründer Carl von Linde war ein Maschinenbau-Professor aus München. Seine Arbeiten erweckten das Interesse der Braubranche, die auf der Suche nach neuen Kühltechniken war. Denn Felsenkeller und Natureis reichten nicht mehr aus für eine Produktion, die den wachsenden Bierdurst der Deutschen löschen konnte. 1876 baute Linde für die Münchner Spatenbrauerei die erste Kühlmaschine. Bald kamen weitere Aufträge. Um Geld für Entwicklung und Patente zu sammeln, suchte Linde Teilhaber. Einen davon fand er im Mainzer Brauer Gustav Jung. So entstand 1879 in Wiesbaden die «Gesellschaft für Linde's Eismaschinen».

Jahrzehnte lang war sie eine reine Konstruktionsfirma, die ihre Entwürfe bei Zulieferern produzieren ließ. Erst nach 1920 erwarb das Unternehmen eigene Fabriken. Um diese Zeit war bereits München ein zweiter wichtiger Standort. Linde-Maschinen kühlten längst nicht mehr nur Bier. Sie arbeiteten in der Schokoladeproduktion, in Schlittschuhbahnen und in chemischen Prozessen wie der Chlor- und Kohlensäureverflüssigung.

Kältetechnik war auch die Voraussetzung für Anlagen, mit denen Linde Luft und Wassergas in ihre Bestandteile zerlegte: Sauerstoff für das neue autogene Schweißen, Stickstoff für die Düngemittelbranche, Wasserstoff zur Margarinehärtung, Argon für Glühlampen. Heute ist das Geschäft mit diesen «Technischen Gasen» Lindes Hauptaktivität. Die Abteilung Kältetechnik hat der Konzern dagegen - ausgerechnet im Jubiläumsjahr 2004 - verkauft. Eine andere Firmentradition endete schon früher: 1976 schied mit Hermann Linde der letzte Vorstandschef aus, der noch den Namen des Gründers trug.

Das Unternehmen wuchs stetig. In der NS-Zeit profitierte es vom Versuch der Nazis, Deutschland mit synthetischem Benzin und Kautschuk autark zu machen. Eine Linde-Tochter lieferte den Flüssigsauerstoff für das deutsche Raketenprogramm. Linde-Gase trieben das Wirtschaftswunder der 50er Jahre an, und die zu Wohlstand gelangenden Deutschen orderten kräftig Kühlschränke, die Linde seit den 30er Jahren herstellte. Als die unbefangene Konsumlust in Angst vor Umweltverschmutzung umschlug, fand Linde neue Betätigungsfelder in Kläranlagen, Bodensanierung und FCKW-Ersatzstoffen: «Für Linde war die Umweltbewegung der 1980er Jahre ein Segen», urteilt der Firmenhistoriker Hans-Liudger Dienel.

Zeitweise produzierte der Konzern sogar Dieselmotoren und Traktoren. Daraus ging die heutige Gabelstapler-Sparte hervor, mit deren Erträgen Linde heute die hohen Vorlaufkosten im Gasgeschäft finanziert. Denn sein Geld verdient der Konzern vor allem mit der Bereitstellung kompletter Produktionsanlagen, nicht mit der einzelnen Sauerstoff- oder Stickstoffflasche. Beispielsweise baut Linde zur Zeit in Norwegen eine Fabrik zur Verflüssigung von Erdgas.

Heute ist Linde seit der Übernahme der schwedischen AGA vor vier Jahren im weltweiten Gasegeschäft die Nummer 4. Über die Hälfte der knapp 47 000 Beschäftigten arbeitet im Ausland, im Vorstand spricht man Englisch. Der Jahresumsatz liegt bei knapp 9 Milliarden Euro, die Aktie ist im DAX-30 gelistet. Analysten blicken zwar skeptisch auf die hohen Schulden, die bei der AGA-Übernahme entstanden. Doch Linde verweist auf die Ausrichtung des Unternehmens auf vielversprechende Zukunftsmärkte wie etwa die Wasserstofftechnologie.

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