Vertriebsstrukturen der Pharmahersteller stehen vor massivem Umbruch

42% der Entscheider befürchten zweistelligen Umsatzrückgang des Pharmamarktes in kommenden fünf Jahren

08.06.2007

Der Pharmamarkt schrumpft in den kommenden fünf Jahren deutlich. Davon gehen 80% der Entscheider der Branche in einer aktuellen Untersuchung der internationalen Strategie- und Technologieberatung Booz Allen Hamilton aus. 42% davon rechnen sogar mit einem zweistelligen Umsatzrückgang. Als Ursache werden vor allem veränderte regulatorische Rahmenbedingungen genannt, etwa bei der Preisbildung und Kostenerstattung neuer Produkte. Diese Entwicklung führe zu einem tief greifenden Wandel der Vertriebsstrukturen in Pharmaunternehmen.

"Bislang richten Pharmaunternehmen ihren Vertrieb primär auf die Betreuung von Ärzten aus. Doch künftig treten durch den veränderten regulatorischen Rahmen im Gesundheitsmarkt völlig neue Ansprechpartner in den Vordergrund. Sie entscheiden über einen erfolgreichen Vertrieb", so Rolf Fricker, Pharmaexperte bei Booz Allen Hamilton. "Neue Entscheider und stark nachlassende Produktivität der bestehenden Strukturen erfordern komplett neue Strukturen und Fähigkeiten. Im scharfen Wettbewerb, den Reformen im Gesundheitsmarkt auslösen, sind nur jene Unternehmen erfolgreich, die ihren Vertrieb komplett neu aufstellen."

Zielgruppen immer komplexer - Vertriebsstrukturen nicht darauf eingestellt

Der Vertrieb sieht sich künftig einer immer komplexeren Landschaft aus Bezugs- und Interessensgruppen gegenüber. So ist in Deutschland mit dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) eine neue Institution entstanden, die im Auftrag der Politik Kosten/Nutzen-Analysen für in der Entwicklung befindliche Medikamente vornimmt. Krankenkassen schließen zunehmend direkt Verträge mit Herstellern ab, bei denen eine Vorauswahl erstattungsfähiger Medikamente festgelegt wird. In der Untersuchung geben 87% der Befragten an, dass der Einfluss der Krankenkassen auf den Absatz von Medikamenten zunehmen wird. 82% ordnen politischen Entscheidern eine deutlich wichtigere Rolle zu. Ebenfalls einen erheblich aktiveren Part übernehmen auch Patienten: 71% der Befragten sind von deren steigendem Einfluss auf den Vertrieb überzeugt.

Aber: Sowohl die derzeitige Organisation, als auch die Prozesse des klassischen Vertriebs gehen an diesen Zielgruppen noch weitgehend vorbei. Es gilt, sie dringend an die veränderten Bedingungen anzupassen: weg von isoliert agierenden Einheiten, hin zu einer integrierten Vertriebsorganisation. Wird derzeit etwa das Gros aller Vertriebsressourcen auf niedergelassene Ärzte verwandt, sind sie in Zukunft weniger wichtig. Dieses führt zu einem Abbau und teilweise einer Umschichtung der Kapazitäten mit neuem Anforderungsprofil. Die Konsequenz: eine starke Dezentralisierung sowie Regionalisierung des Arbeitsmarktes, mit starken lokalen Besonderheiten und neuen, differenzierten Vertriebskanälen.

Arbeiten Vertrieb und Key Account Management derzeit weitgehend getrennt, müssen künftig integrierte Vertriebseinheiten unter dem Dach von Leadership Teams zusammengefasst werden. Diese integrierten Vertriebsteams sollten nach Empfehlung von Booz Allen Hamilton aus Business Representatives, Key Account Managern, Medical Liaison Officers, gesundheitspolitischen Vertretern und Teams für die Pharmazie sowie den Patienten bestehen. Die Erfolgsgaranten für die Zukunft: eine extrem hohe prozessuale Vernetzung sowie eine massive Veränderung jahrzehntelanger Verhaltensweisen der Vertriebsteams. So existieren etwa aktuell noch je Vertriebseinheit uneinheitliche und untereinander unabgestimmte Ziele. Künftig aber wird ein "Must" bei der parallelen Ansprache differenzierter Zielgruppen die klare Abstimmung anhand modifizierter betriebswirtschaftlicher Kenngrößen sein. Nicht zuletzt bedarf es einer übergreifenden, gemeinsamen Infrastruktur etwa beim Management von Kundenbeziehungen (CRM) oder im Wissensmanagement.

Ob die Hersteller die Dringlichkeit der Situation erkannt haben, scheint fraglich. So erwartet rund jeder zweite Befragte, dass die Vertriebsausgaben sinken werden. Weitere 28% gehen davon aus, dass die entsprechenden Ausgaben stagnieren. Angesichts der anstehenden Herausforderungen im Gesundheitsmarkt eine alarmierende Aussage.

Zur Untersuchung: Befragt wurden rund 150 Entscheider aus der Pharmabranche in Deutschland und der Schweiz.

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