Kerngeschäft Wodka: Russisches Atomkraftwerk brennt Hochprozentiges
Von Stefan Voß, dpa
Im Stundentakt verlassen Lastwagen mit hochprozentiger Fracht das Gelände des Kernkraftwerks. «Wir können im Monat bis zu 500 000 Liter Wodka herstellen», teilt die Spirituosenfabrik ROOM auf ihrer Website im Internet mit. Wo der Schnaps herkommt, wird allerdings verschwiegen. Seit der schweren Reaktorkatastrophe vor 15 Jahren in Tschernobyl sind selbst die technikgläubigen Russen in Sachen Atomenergie ein wenig vorsichtiger geworden.
Während es den meisten Wodka-Fabrikanten bei Namen für ihre Erzeugnisse nicht an Fantasie mangelt («Kalaschnikow», «Schirinowski»), halten sich die Schnapsbrenner aus dem Atommeiler zurück. Anstatt ihre Produkte als «Jaderni» (Nuklear) oder «Kerniges Wässerchen» zu präsentieren, heißt der Standard-Schnaps schlicht «Nischni Nowgorod» und die Edelsorte «Goldener Wodka».
Im Inneren des Kraftwerkgebäudes laufen die leeren Halbliter-Flaschen wie am Schnürchen zum Abfüllstutzen. «Die Arbeit hier macht uns nichts aus. Der Reaktor liegt doch still», sagt die Mitarbeiterin Irina Bytschkowa dem privaten Fernsehsender TW-6. Als 1986 der vierte Reaktor von Tschernobyl explodierte, war das Atomkraftwerk an der Wolga gerade fertig gestellt worden. Doch aus Sorge vor einer weiteren Katastrophe ging das Kraftwerk, benannt nach der benachbarten Großstadt Nischni Nowgorod, nicht ans Netz.
Die Nähe zum Atomreaktor scheint dem Wodka nicht zu schaden. «Wir untersuchen unsere Getränke auf alles, auch auf mögliche Radionuklide», betont die Leiterin des betriebseigenen Kontrolllabors, Galina Melnikowa. Beschwerden habe es bislang nicht gegeben. Zum Sortiment gehören auch leicht alkoholische Mischgetränke wie Gin Tonic. Doch der Wodka bleibt das Kerngeschäft im Atommeiler.
In der Umgebung um den Meiler finden die Spirituosen guten Absatz. Die Regale eines Getränkekiosks sind reichhaltig mit dem ROOM-Sortiment bestückt. «Wir beziehen fast alles aus dem Atomkraftwerk», sagt die Verkäuferin Jelena Iwanowa. Eine ältere Kundin zeigt sich dennoch besorgt. «Vielleicht gelangen da doch ein paar schädliche Partikel in den Wodka», sagt die Frau.
Die meisten Kunden scheint die Herkunft ihres «Wässerchens» nicht zu stören, solange Qualität und Preis stimmen. Lediglich 28 Rubel (1,03 Euro/2,03 Mark) kostet die Halbliterflasche Standard-Wodka (40 Prozent Alkohol). Dieser Billigpreis lässt selbst den ärmsten Wodka-Genießer an der Wolga strahlen.