Weniger ist mehr: Wissenschaftler der TU München finden neuen Weg zu superschweren Elementen
Elemente schwerer als Blei sind instabil und wandeln sich durch radioaktiven Zerfall in leichtere Atome um. Das schwerste Element, das noch in nennenswerten Mengen in der Natur vorkommt, ist das Uran. Danach werden die Kerne so instabil, dass sie nur noch künstlich erzeugt werden können und oft nur wenige Sekundenbruchteile existieren. Doch jenseits des Elements mit der Ordnungszahl 113 vermuten die Theoretiker wieder stabilere Atome. Vielleicht warten hier interessante neue Werkstoffeigenschaften auf ihre Endeckung; zumindest aber liefert die Forschung an diesen Elementen wichtige Erkenntnisse über den Aufbau der Materie.
Um solche superschweren Elemente zu erzeugen entreißen die Wissenschaftler leichteren Atomen ihre Elektronen und schießen die Atomkerne mit einem Teilchenbeschleuniger auf eine dünne Folie aus schweren Atomen. Doch nur ganz wenige dieser Teilchen stoßen frontal mit einem Zielkern zusammen und könnten eine Fusion eingehen. Doch um mit dem Zielkern zu verschmelzen, müssen sie erst noch die Abstoßungskräfte der gleich geladenen Kerne überwinden. Hierfür ist sehr viel Energie nötig. "Das ist so, als würde man eine Kugel mit viel Schwung einen hohen Berg hinauf schießen, so dass sie genau auf der Spitze liegen bleibt," erklärt Prof. Dr. Andreas Türler, Direktor des Instituts für Radiochemie der Technischen Universität München.
Aufgrund der hohen Energie der einschlagenden kleinen Kerne sind die neu entstehenden Verbundkerne "heiß." Sie sind hoch angeregt, und die meisten zerfallen sofort. Nur in ganz wenigen Fällen überlebt ein Kern nach dem Verdampfen von vier oder fünf Neutronen. Schießt man in etwa gleich schwere Atome aufeinander, so entstehen "kältere" Verbundkerne mit deutlich höherer Überlebenswahrscheinlichkeit. Doch die Verschmelzung ist durch die enormen Abstoßungskräfte der geladenen Kerne sehr stark behindert. Die Ausbeute der Wissenschaftler sind daher oft nur ein paar Atome pro Tag oder sogar pro Woche.
Radiochemiker der TU München haben nun bei Experimenten am Schwerionen-Beschleuniger der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt in Zusammenarbeit mit der dortigen Kernchemie-Gruppe sowie weiteren nationalen und internationalen Partnern die Vorteile der beiden Methoden kombiniert: Für die Fusionsexperimente wählten sie das relativ leichte Projektil Magnesium (26Mg). Die Forscher benutzten außerdem eine niedrige Strahlenergie, um relativ kalte Verbundkerne zu produzieren. Den bisherigen Theorien zufolge reicht diese Energie gar nicht aus, um die Abstoßungskräfte der Kerne zu überwinden und eine Fusion herbei zu führen. Die Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass ihnen hier eine Besonderheit schwerer Kerne zur Hilfe kommt: Diese sind nicht gleichförmig rund sondern können deformiert sein. Die Stärke der Abstoßung ist dann deutlich niedriger als von der Theorie vorher gesagt. Sie hängt viel mehr von der Orientierung der kollidierenden Kerne ab.
Mit der von ihnen entwickelten, hoch effizienten kernchemischen Separationsmethode konnten die TU-Wissenschaftler nachweisen, dass neue superschwere Verbundkerne auch bei Bestrahlungsenergien deutlich unterhalb der klassischen Fusionsbarriere gebildet werden. Bei Bestrahlungen von Curium (248Cm) mit Magnesium-Kernen (26Mg) bildete sich nach der Verdampfung von nur drei Neutronen das neue superschwere Element Hassium (271Hs). Die gemessene Bildungswahrscheinlichkeit war überraschend hoch, vergleichbar zu derjenigen von 270Hs und 269Hs, welche derzeit bei höheren Strahlenergien produziert werden. Die Wissenschaftler um Andreas Türler wollen nun den gefunden Reaktionsweg mit weiteren Kombinationen von Atomen testen. Ihr Fernziel ist die Synthese der ganz schweren Elemente jenseits von Hassium.
Originalveröffentlichung: Physical Review Letters 2008, 100, 132503.
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