Weiße Biotechnologie eröffnet neue Wege: Pilze und Bakterien immer wichtiger für die Chemie
Die weiße Biotechnologie kommt heute im Haushalt zum Tragen. Der Einsatz von Enzymen hat das Wäsche waschen revolutioniert: Verrichteten 1970 gerade einmal zwei Eiweiß spaltende Enzyme ihre Dienste für eine saubere Wäsche, machen sich heute in einem Waschmittel eine ganze Reihe spezialisierter Enzymklassen an die Arbeit. Diese biotechnische Evolution brachte auch erhebliche Vorteile für die Umwelt mit sich: Die Waschmittelmenge hat sich reduziert. Dadurch wird deutlich weniger Wasser für einen Waschvorgang benötigt. Die steile Karriere von Enzymen in Waschmitteln hat außerdem wesentlich dazu beigetragen, dass die Verbraucher bei ihrer Waschmaschine den Temperaturregler statt auf 60 nur noch auf 40 oder sogar nur 30 Grad einstellen können. Dadurch werden pro Waschgang bis zu 50 Prozent Energie eingespart.
Dass sich Verfahren der weißen Biotechnologie zunehmend als Innovationsträger für die Lösung von Zukunftsproblemen etablieren, zeigt ein Beispiel aus dem Bereich nachhaltige Nahrungsmittelproduktion: Die essentielle Aminosäure L-Lysin wird als Futtermittelzusatz verwendet. Heute werden weltweit über 1 Million Tonnen Lysin in etwa 500 Millionen Tonnen Tierfutter eingesetzt, was rund 80 Prozent der weltweit hergestellten Menge ausmacht. Mit dem Einsatz biotechnischer Methoden konnte in den letzten 15 Jahren der Einsatz von Rohstoffen und Energie bei der Herstellung deutlich gesenkt werden. Insgesamt hat sich die Effizienz des Produktionsverfahrens verdoppelt. Durch den Einsatz von Lysin werden pro Jahr rund 36 Millionen Tonnen an Sojamehl weniger benötigt und so 20 Millionen Hektar Soja-Anbaufläche eingespart.
Ein weiteres Beispiel aus dem Gebiet Nahrungsmittel: Vitamin B2 oder Riboflavin ist eine essentielle chemische Verbindung für Mensch und Tier. Bis vor 15 Jahren wurde das Vitamin B2 in einem komplizierten, achtstufigen chemischen Verfahren hergestellt. Heute haben verschiedene biotechnische Verfahren mit Hilfe von gentechnisch optimierten Pilzen oder Bakterien das herkömmliche Verfahren weitgehend ersetzt. Die Umstellung auf dieses einstufige Fermentationsverfahren war ein Fortschritt für die Unternehmen und die Umwelt: Der Rohstoffverbrauch konnte um 60 Prozent gesenkt werden, die CO2-Emissionen um 30 Prozent und das Abfallaufkommen um 95 Prozent.
Derzeit liegt der Anteil biotechnischer Methoden an allen Produktionsverfahren in der europäischen Chemie erst bei etwa 5 Prozent. Marktforscher gehen aber davon aus, dass der Anteil bis 2015 auf 15 Prozent ansteigen wird. Speziell für Feinchemikalien erwarten Branchenkenner langfristig überdurchschnittlich hohe Wachstumsraten. Hier nehmen schon heute biotechnische Verfahren einen Anteil von rund 20 Prozent ein. Es spricht viel dafür, dass dieser Anteil in der Sparte Feinchemie bis 2015 voraussichtlich auf 50 Prozent zulegen wird. Insgesamt könnte dann im Jahr 2015 der weltweite Umsatz mit weißer Biotechnologie rund 300 Milliarden US-Dollar erreichen, so schätzen Experten. Im Vergleich zu 2004 würde sich damit der Umsatz versiebenfachen.
Dr. Alfred Oberholz, Vorsitzender des Ausschusses für Forschung, Wissenschaft und Bildung im Verband der Chemischen Industrie (VCI) wies aber gleichzeitig auf die Grenzen der industriellen Biotechnologie hin: "Die chemische Industrie in Deutschland wird zwar alles daran setzen, das Potenzial der weißen Biotechnologie voll auszuschöpfen. Denn neue Produkte sind der Garant für dauerhaften Erfolg auf den globalen Märkten. Dennoch müssen wir realistisch bleiben: Die weiße Biotechnologie ist nicht per se wirtschaftlicher und umweltverträglicher als die klassische chemische Synthese. Wir müssen Vor- und Nachteile in jedem Einzelfall nüchtern abwägen."
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