Cyanophycin-Kartoffel: Kunststoff aus der Knolle
Cyanophycin ist ein Protein, das von Cyanobakterien (Blaualgen) und einigen anderen Bakterien gebildet wird. Sie nutzen es zur Speicherung u.a. von Stickstoff. Ein Bestandteil von Cyanophycin ist Polyaspartat, das als biologisch abbaubarer Kunststoff genutzt werden kann. Polyaspartat bindet Calcium und kann deshalb z.B. in Waschmitteln als Wasserenthärter Verwendung finden.
Es ist möglich, solche biologisch abbaubaren Polymere (Biopolymere) in Pflanzen herstellen zu lassen, die Pflanze also als eine Art Bioreaktor einzusetzen. Pflanzen könnten so als nachwachsende Rohstoffe Ersatzstoffe liefern für Kunststoffe auf Erdölbasis, die biologisch nicht abbaubar sind wie etwa Polyacrylate aus Acrylsäure.
Polyaspartat kann auch durch chemische Synthese gewonnen werden, wird aber bislang nur in geringen Mengen produziert. Es ist besser biologisch abbaubar als vergleichbare Polyacrylate, aber nicht vollständig abbaubar wie das in Cyanophycin gebildete Polyaspartat.
Cyanophycin hat noch einen weiteren wertvollen Bestandteil: die Aminosäure Arginin, die z.B. als Futterzusatz die Gesundheit der Tiere verbessert und den Stickstoffanteil im Harn verringert.
Außer der Produktion in Pflanzen ist es auch möglich Cyanophycin biotechnologisch in Bioreaktoren mit Hilfe von Bakterien oder Zellkulturen herzustellen. Dabei werden aber nicht Cyanobakterien eingesetzt, sondern z.B. gentechnisch veränderte E.coli-Bakterien. Ein Vorteil der Produktion in Pflanzen gegenüber der Fermenterproduktion ist, dass Cyanophycin als "Beiprodukt" kostengünstig hergestellt werden könnte. Kartoffeln, die für die Stärkeerzeugung angebaut werden, könnten gleichzeitig Cyanophycin liefern. Es würden keine zusätzlichen Flächen benötigt.
Die Herstellung von Cyanophycin mit Hilfe von Pflanzen ist schon seit einigen Jahren ein Forschungsthema. In einem vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) geförderten Verbundprojekt haben Wissenschaftler der Universitäten Rostock, Berlin, Bielefeld und Tübingen die Cyanophycin-Kartoffel entwickelt und im Gewächshaus eingehend untersucht.
In die Kartoffel wurde ein Gen aus dem Cyanobakterium Thermosynechoccus elongatus übertragen, wodurch ein spezielles Enzym - eine Cyanophycin-Synthetase - gebildet wird. Dieses Enzym sorgt dafür, dass aus den Aminosäuren Aspartat und Arginin in der Kartoffelpflanze Cyanophycin gebildet wird. Dabei wird aus Aspartat und Arginin das langkettige Molekül Polyaspartat mit Argininresten.
Die Kartoffeln wurden in langjährigen Versuchen so optimiert, dass große Mengen Cyanophycin in den Knollen produziert werden können, ohne die Fitness der Pflanzen zu beeinträchtigen.
Die Forschung beschäftigt sich auch mit möglichen Verfahren, das gebildete Cyanophycin kostengünstig aus der Kartoffel herauszulösen. Die Versuche zeigen, dass schon mit einfachen Verfahren bis zu achtzig Prozent reines Cyanophycin als weißes Pulver herausgelöst werden können. Der Anteil an der Trockenmasse der Kartoffeln liegt bei beachtlichen sechs Prozent.
Nun wird im Freiland an der Kartoffel beispielhaft getestet, inwieweit sich Pflanzen als sichere Produktionssysteme für Bio-Kunststoffe einsetzen lassen. Dabei geht es darum, zu prüfen, ob die Freilandbedingungen die Produktion beeinflussen und ob es Effekte auf Nicht-Zielorganismen gibt. Die Knollen werden auch für Fütterungsversuche genutzt, um potenzielle allergene oder toxische Effekte zu prüfen. Es sollen sowohl Kartoffeln gestestet werden, die in allen Pflanzenteilen Cyanophycin produzieren, als auch solche, die es nur in den Knollen bilden.
Auch zwei vom BMBF geförderte Forschungsprojekte beschäftigen sich mit der Cyanophycin-Kartoffel. In einem der Projekte wird untersucht, ob sich Eigenschaften der Kartoffel durch die gentechnische Veränderung unbeabsichtigt verändern. Wenn sie etwa weniger frostempfindlich ist, könnten auf dem Feld verbleibende Kartoffeln besser überwintern. Außerdem überprüfen die Wissenschaftler, ob der Verrottungsprozess anders verläuft.
In einem weiteren Projekt geht es um den mikrobiellen Abbau der auf dem Feld verbleibenden Pflanzenreste im Boden sowie mögliche Veränderungen in der Gemeinschaft der Mikroorganismen.
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) erteilte im Juni 2006 die Genehmigung für die Freisetzung von 2006-2008 unter vorsorglichen Auflagen. Inzwischen sind für die kommenden Jahre bis 2012 weitere Freisetzungsanträge gestellt.