Steuerbare Selbstorganisation von Flüssigkristallen in Nanoporen

Weg zu neuartigen Materialien mit adaptiven elektrischen und optischen Eigenschaften

04.02.2020 - Deutschland

Mit Röntgenstrahlung hat ein Forscherteam bei DESY die erstaunlich vielfältige Selbstorganisation von Flüssigkristallen in nanometerkleinen Poren erkundet. Die Studie unter Leitung von Patrick Huber von der Technischen Universität Hamburg (TUHH) zeigt, wie die Flüssigkristalle sich in verschieden großen Poren anordnen und dabei unterschiedliche elektrische und optische Eigenschaften ausbilden. Diese könnten für Anwendungen wie Sensoren und neuartige optische Metamaterialien interessant sein, wie die Gruppe um Hauptautorin Kathrin Sentker von der TUHH im Fachblatt „Nanoscale“ berichtet. Die Untersuchungen sollen künftig im Rahmen des geplanten Centre for Multiscale Materials Systems (CIMMS) fortgesetzt werden, an dem TUHH, Universität Hamburg, Helmholtz-Zentrum Geesthacht und DESY beteiligt sind und für das die Hamburger Wissenschaftsbehörde in dieser Woche eine Millionenförderung zugesagt hat.

Marco D. Mazza, Max Planck Institute for dynamics and self-organisation and und Loughborough University

Die Simulation der verschiedenen Ordnungen des Flüssigkristalls deckt sich mit den Messungen.

Die Forscher hatten ein spezielles Flüssigkristallmaterial namens HAT6 (2,3,6,7,10,11-Hexakis(hexyloxy)triphenylen; C54H84O6) untersucht, dessen Einzelmoleküle scheibenförmig sind. Sie ordnen sich unterhalb von etwa 70 Grad Celsius zu einem Flüssigkristall, durch Erhitzen auf rund 100 Grad lässt sich die Ordnung wieder aufheben. Dieses Material füllten die Wissenschaftler in Poren in einem Aluminiumoxid-Träger und kühlten es ab. Die zylindrischen Poren waren 17 bis 160 Nanometer (millionstel Millimeter) dick, 0,1 Millimeter lang und in einem hexagonalen Gitter angeordnet.

An DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III, der Europäischen Synchrotronstrahlungsquelle ESRF in Grenoble (Frankreich) und der National Synchrotron Light Source (NSLS II) auf Long Island (USA) beobachtete das Team, wie sich das Flüssigkristallmaterial in den Nanoporen verhält. Die Geometrie und die chemischen Eigenschaften der Poren zwingen die Scheibenmoleküle des Flüssigkristalls dabei, sich auf unterschiedliche Weise zu ordnen. „Die Porengröße und eine optionale Beschichtung der Porenwand steuern, wie sich die Flüssigkristalle beim Abkühlen organisieren“, berichtet Ko-Autorin Milena Lippmann von DESY. Dabei können beispielsweise nanometergroße Ringe oder gerade Säulen entstehen.

Je langsamer die Temperatur sinkt, desto besser bildet sich die jeweilige Ordnung aus. Mit einer hydrophilen oder hydrophoben (wasseranziehenden oder -abstoßenden) Beschichtung der Porenwand lässt sich dabei steuern, ob sich die scheibenförmigen Moleküle mit der flachen Seite oder ihrer Kante an die Porenwand anlagern. „Die unterschiedlichen kollektiven Ordnungen der Flüssigkristalle haben verschiedene elektrische und optische Eigenschaften“, erläutert Huber. So ist etwa die axiale Anordnung der Moleküle elektrisch leitend, was durch die Zerstörung der Ordnung beim Erhitzen verloren geht. „Damit ließen sich beispielsweise schaltbare, eindimensionale Nanodrähte konstruieren“, fügt Ko-Autor Andreas Schönhals von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung hinzu, der sich für die dielektrischen Eigenschaften dieser Systeme interessiert.

Die verschiedenen Ordnungen polarisieren zudem das Licht sehr unterschiedlich. „Da jede Pore kleiner als die sichtbare Lichtwellenlänge ist, kann mit dem Kollektiv der Nanoporen und als Funktion der flüssigkristallinen Ordnung auf der Einzelporenebene gezielt der Polarisationszustand von transmittiertem oder reflektiertem Licht gesteuert werden. Dieser Effekt geht weit über das hinaus, was mit den Grundmaterialien, also dem Flüssigkristall und Aluminiumoxid, allein möglich ist“, betont Huber. „Solche maßgeschneiderten und adaptiven Metamaterialien sind die Grundlagen für die sich gerade rasch entwickelnde transformative Optik. Hierbei können Lichtwege in Materialien realisiert werden, die mit klassischen Materialien nicht umzusetzen sind. Beispiele sind extrem dünne optische Linsen mit starker Brechkraft, was in Zukunft vielleicht jeden Brillenträger freuen könnte, oder Beschichtungen, die Objekte unsichtbar machen.“

Auch für verschiedene Arten von Sensoren, zum Beispiel für die Temperatur, eignen sich diese Flüssigkristall-Festkörper Hybride. „HAT6 ist nur eine von vielen Flüssigkristallsorten, deren Selbstorganisation sich in nanoporösen Medien für Materialien mit maßgeschneiderten Eigenschaften nutzen lässt“, betont Marco Mazza vom Max-Planck Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen und der Universität Loughborough in Großbritannien, der die Computersimulation der Selbstorganisation der Flüssigkristalle geleitet hat. Andere Geometrien und damit andere Eigenschaften sind bei anderen Flüssigkristallsorten möglich.

Aus materialwissenschaftlicher Perspektive zeige die Untersuchung zudem, wie sich die Lücke zwischen der sogenannten Bottom-up- und der Top-down-Selbstorganisation überbrücken lasse, um mechanisch stabile, makroskopische Materialsysteme zu designen, betonen die Forscher. Bottom-up bedeutet, dass sich Strukturen aus kleineren Einheiten bilden. Top-down dagegen, dass Strukturen in großen Einheiten erzeugt werden.

Im vorliegenden Fall wurden die Poren durch ein Ätzverfahren produziert, bei dem sich von selbst regelmäßige Nanozylinder in einem makroskopischen Trägermaterial bilden und relativ zueinander hexagonal anordnen – eine Top-down-Selbstorganisation. Diese Poren wurden mit dem Flüssigkristallmaterial gefüllt, bei dem die einzelnen Moleküle durch Bottom-up-Selbstorganisation Strukturen formen. „Das nanostrukturierte Aluminiumoxid bildet also ein mechanisch robustes Gerüst für die eher weichen und fragilen Flüssigkeitsstrukturen, so dass ein selbstorganisiertes Hybridmaterial entsteht, das mechanisch stabil ist und auch in makroskopischen Bauelementen eingesetzt werden kann“, betont Hauptautorin Sentker. „Besonders die fehlende mechanische Stabilität ist bei vielen anderen funktionalen Nanomaterialien immer noch eine große Hürde für deren technologischen Einsatz.“

Diese Studie entstand im Rahmen des von der Deutschen Foschungsgemeinschaft (DFG) geforderten Sonderforschungsbereichs SFB 986 „Maßgeschneiderte multiskalige Materialsysteme M3“. An der Untersuchung waren die Technische Universität Hamburg, die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, das Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, das Helmholtz-Zentrum Berlin, die Technische Universität Czestochowa in Polen, das Interdisziplinäre Zentrum für Mathematische Modellierung an der Universität Loughborough in Großbritannien und DESY beteiligt.

Die Studien sollen im geplanten Centre for Multiscale Materials Systems (CIMMS) auf dem Campus in Bahrenfeld fortgesetzt werden. Dieses gerade von der Hamburger Wissenschaftsbehörde im Rahmen der HamburgX-Förderlinie genehmigte Zentrum, an dem TUHH, Universität Hamburg, Helmholtz-Zentrum Geesthacht und DESY beteiligt sind, hat als Ziel die Entwicklung der Grundlagen zur Herstellung dreidimensionaler, multiskaliger, multifunktionaler und hybrider Materialsysteme ausgehend von nanoskaligen Strukturen. „Diese Materialsysteme unterscheiden sich fundamental von vorhandenen Werkstoffen, indem sie bioinspiriert den hierarchischen Aufbau natürlicher biologischer Materialien für technologisch neuartige Basismaterialien nutzen und durch eine Reduzierung der chemischen Diversität eine nachhaltigere Materialwirtschaft ermöglichen“, erläutert der Sprecher des neuen Forschungsverbunds, Gerold Schneider von der TUHH.

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