Blick in die magnetische Zukunft
Forschende des PSI und der ETH Zürich haben zum ersten Mal beobachtet, wie sich winzige speziell angeordnete Magnete nur aufgrund von Temperaturänderungen ausrichten
Der Einblick in die Vorgänge innerhalb von solch künstlichem Spin-Eis könnte eine wichtige Rolle spielen bei der Entwicklung neuartiger Hochleistungsrechner.
Kevin Hofhuis / PSI / ETH Zürich
Gefriert Wasser zu Eis, ordnen sich die Wassermoleküle mit ihren Wasserstoff- und Sauerstoffatomen in einer komplexen Struktur an. Wasser und Eis sind unterschiedliche Phasen desselben Materials, und die Umwandlung von Wasser zu Eis wird als Phasenübergang bezeichnet. Im Labor lassen sich nun Kristalle herstellen, bei denen die elementaren magnetischen Momente, die sogenannten Spins, mit Eis vergleichbare Strukturen bilden. Deshalb bezeichnen Forschende diese Strukturen auch als Spin-Eis.
«Wir haben künstliches Spin-Eis hergestellt, das im Wesentlichen aus Nanomagneten besteht. Diese sind so klein, dass sich ihre Ausrichtung einzig aufgrund der Temperatur ändern kann», erklärt der Hauptautor Kevin Hofhuis, der soeben seine Doktorarbeit abgeschlossen hat.
Im verwendeten Material sind die Nanomagnete in sechseckigen Strukturen angeordnet – ein Muster, das man aus der japanischen Korbflechtkunst unter dem Namen Kagome kennt.
«Bei künstlichem Kagome-Spin-Eis wurden magnetische Phasenübergänge theoretisch vorhergesagt, aber bisher nie beobachtet», sagt Laura Heyderman, Professorin für Mesoskopische Systeme der ETH Zürich und Leiterin des Labors für Multiskalen-Materialien-Experimente am PSI. Der Nachweis von Phasenübergängen gelang nun dank modernster Lithografie-Verfahren zur Herstellung des Materials sowie einer speziellen Mikroskopie-Methode an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS am PSI. Die Resultate dieser Experimente sind soeben in der Zeitschrift Nature Physics erschienen.
Der Trick: winzige Magnetbrücken
Für ihre Proben verwendeten die Forschenden eine Nickel-Eisen-Verbindung, die als dünner Film auf ein Siliziumsubstrat aufgetragen wurde. Auf dieser Oberfläche wurde mit einem Lithografie-Verfahren wiederholt das kleine, hexagonale Muster der Nanomagnete geformt, wobei ein Nanomagnet etwa einen halben Mikrometer (millionstel Meter) lang und ein Sechstel Mikrometer breit war.
Doch damit nicht genug. «Der Trick war, dass wir die Nanomagnete mit winzigen magnetischen Brücken verbanden», sagt Hofhuis. «Dadurch kam es zu kleinen Veränderungen des Systems, die es uns erst ermöglichten, den Phasenübergang so abzustimmen, dass wir ihn beobachten konnten. Allerdings mussten diese Brücken sehr klein sein, denn wir wollten das System nicht allzu sehr verändern.»
Dass dieses Unterfangen gelang, erstaunt den Physiker noch immer. Denn mit der Schaffung der Nanobrücken stiess er an die Grenzen der technisch möglichen, räumlichen Auflösung der heutigen Lithografie-Methoden. Einige der Brücken sind nur zehn Nanometer gross.
Mikroskopie und Theorie
An der SLS verwendete das Team eine spezielle Mikroskopie-Methode, die es ermöglicht, den magnetischen Zustand jedes einzelnen Nanomagneten in der Anordnung zu beobachten, die sogenannte Photoemissions-Elektronenmikroskopie.
«Wir konnten ein Video aufnehmen, das zeigt, wie die Nanomagnete miteinander wechselwirken und dies allein als Funktion der Temperatur», sagt Hofhuis. Bei den ursprünglichen Bildern handelte es sich um einfache Schwarz-Weiss-Kontraste, die ab und zu wechselten. Daraus konnten die Forschenden die Konfiguration der Spins, also die Ausrichtung der magnetischen Momente, ableiten.
«Sieht man sich ein solches Video an, weiss man aber noch nicht, in welcher Phase man sich befindet», erklärt Hofhuis. Dazu brauchte es theoretische Überlegungen, die Peter Derlet, PSI-Physiker und Titularprofessor an der ETH Zürich, beisteuerte. Seine Simulationen zeigten, was theoretisch bei den Phasenübergängen geschehen sollte. Erst der Vergleich der aufgenommenen Bilder mit diesen Simulationen bewies, dass es sich bei den mikroskopisch beobachteten Vorgängen tatsächlich um Phasenübergänge handelt.
Phasenübergänge manipulieren
Die neue Studie ist ein weiterer Erfolg in der Erforschung von künstlichem Spin-Eis, welches die Gruppe von Laura Heyderman seit mehr als einem Jahrzehnt untersucht. «Das Grossartige an diesen Materialien ist, dass wir sie massschneidern können und direkt sehen, was in ihnen passiert», sagt die Physikerin. «Wir können alle möglichen faszinierenden Verhaltensweisen beobachten, darunter die Phasenübergänge und Ordnungen, die vom Layout der Nanomagnete abhängen. Dies ist bei Spin-Systemen in herkömmlichen Kristallen nicht möglich.»
Obwohl diese Untersuchungen zurzeit noch reine Grundlagenforschung sind, denken die Forschenden bereits an mögliche Anwendungen.
Die Kontrolle von verschiedenen magnetischen Phasen könnte für neuartige Arten der Datenverarbeitung interessant sein. Am PSI und anderswo wird untersucht, wie die Komplexität von künstlichem Spin-Eis für neuartige Hochgeschwindigkeitsrechner mit geringem Stromverbrauch genutzt werden könnte. «Dabei orientiert man sich an der Informationsverarbeitung im Gehirn und macht sich zunutze, wie das künstliche Spin-Eis auf einen Reiz wie ein Magnetfeld oder elektrischen Strom reagiert», erklärt Heyderman.