"Heißes" Graphen zeigt Migration von Kohlenstoffatomen

Studie ist ein Beispiel für einen glücklichen Zufall in der Forschung

27.06.2022 - Österreich

Die Wanderung von Kohlenstoffatomen auf der Oberfläche des Nanomaterials Graphen wurde vor Kurzem erstmals gemessen. Obgleich sich die Atome zu schnell bewegen, um sie direkt mit einem Elektronenmikroskop beobachten zu können, konnte ihr Einfluss auf die Stabilität des Materials nun indirekt bestimmt werden, während das Material auf einer mikroskopischen Heizplatte erhitzt wurde. Die Studie von Forschern an der Fakultät für Physik der Universität Wien wurde in der Zeitschrift Carbon veröffentlicht.

© Concept: Toma Susi / Uni. Vienna, Graphic design: Ella Maru Studio

Ein Kohlenstoffatom (orange hervorgehoben), das auf der Oberfläche von Graphen bei erhöhter Temperatur in Richtung einer Lücke wandert, rast gegen einen Rasterelektronenstrahl (grün-gelb leuchtend), der sich der gleichen Position nähert.

Kohlenstoff ist ein essentielles Element für alles bekannte Leben und kommt in der Natur vor allem als Graphit oder Diamant vor. In den letzten Jahrzehnten haben Materialwissenschaftler viele neue Formen von Kohlenstoff hergestellt, darunter Fullerene, Kohlenstoff-Nanoröhren und Graphen. Insbesondere Graphen ist, nicht nur aufgrund seiner hervorstechenden Eigenschaften, Gegenstand intensiver Forschung, sondern auch, weil es sich besonders gut für Experimente und Modellierung eignet. Einige grundlegende Prozesse konnten jedoch bisher noch nicht gemessen werden, darunter die Bewegung von Kohlenstoffatomen auf seiner Oberfläche. Diese zufällige Bewegung ist der atomare Ursprung des Phänomens der Diffusion.

Diffusion (von lateinisch "diffundere": ausbreiten, streuen) bezeichnet die natürliche Bewegung von Teilchen wie Atomen oder Molekülen in Gasen, Flüssigkeiten oder Festkörpern. In der Atmosphäre und in den Ozeanen sorgt dieses Phänomen für eine gleichmäßige Verteilung von Sauerstoff bzw. Salz. In der technischen Industrie ist es von zentraler Bedeutung für die Stahlproduktion, Lithium-Ionen-Batterien und Brennstoffzellen, um nur einige Beispiele zu nennen. In der Materialwissenschaft erklärt die Diffusion an der Oberfläche von Festkörpern, wie bestimmte katalytische Reaktionen ablaufen und viele kristalline Materialien, einschließlich Graphen, gezüchtet werden.

Die Diffusionsgeschwindigkeit an der Oberfläche hängt im Allgemeinen von der Temperatur ab: Je wärmer es ist, desto schneller diffundieren die Teilchen. Indem diese Geschwindigkeit bei verschiedenen Temperaturen gemessen wird, kann prinzipiell die Energiebarriere bestimmt werden, die beschreibt, wie leicht (in diesem Fall) Atome von einem Ort auf der Oberfläche zum nächsten wandern können. Dies ist jedoch nicht möglich, wenn die Atome nicht lange genug an Ort und Stelle bleiben, so wie es bei Kohlenstoffatomen auf Graphen der Fall ist. Daher stützte sich unser Verständnis bisher auf Computersimulationen. In der neuen Studie wird diese Schwierigkeit überwunden, indem ihre Wirkung indirekt gemessen wird, während das Material auf einer mikroskopischen Heizplatte in einem Elektronenmikroskop erhitzt wird.

Indem die Forscher die atomare Struktur von Graphen mit Elektronen sichtbar machten und dabei gelegentlich Atome herausschleuderten, konnten sie bestimmen, wie schnell sich die Kohlenstoffatome auf der Oberfläche bewegen müssen, um das Füllen der entstehenden Löcher bei erhöhten Temperaturen zu erklären. Somit konnte durch die Kombination von Elektronenmikroskopie, Computersimulationen und dem Verständnis für das Zusammenspiel von Bildentstehung und Diffusion eine Schätzung für die Energiebarriere ermittelt werden. "Nach sorgfältiger Analyse konnten wir einen Wert von 0,33 Elektronenvolt dingfest machen, etwas niedriger als erwartet", so der Erstautor Andreas Postl.

Die Studie ist auch ein Beispiel für einen glücklichen Zufall in der Forschung. Das ursprüngliche Ziel des Teams war, die Temperaturabhängigkeit von Strahlenschäden durch Elektronen zu messen. "Ehrlich gesagt war es nicht das, was wir ursprünglich untersuchen wollten. Allerdings passieren solche Entdeckungen in der Wissenschaft oft, wenn man hartnäckig kleinen, aber unerwarteten Details nachgeht", fasst der Seniorautor Toma Susi zusammen.

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