Ein Nanokelvin-Mikrowellenkühlschrank für Moleküle

Eine neue Methode, um Gase aus polaren Molekülen bis nahe dem absoluten Nullpunkt abzukühlen, ebnet den Weg, um Quanteneffekte exotischer Materieformen zu untersuchen

02.08.2022 - Deutschland

Forscher am Max-Planck-Institut für Quantenoptik haben eine neuartige Kühltechnik für molekulare Gase entwickelt, die es ermöglicht, polare Moleküle bis auf wenige Nanokelvin zu kühlen. Der Trick des Teams in Garching, um diese Hürde zu überwinden, basiert auf einem rotierenden Mikrowellenfeld. Es hilft, die Stöße zwischen den Molekülen während des Abkühlens durch einen energetischen Schutzschirm zu stabilisieren. Den Max-Planck-Forschern gelang es auf diese Weise, ein Gas aus Natrium-Kalium-Molekülen bis auf 21 milliardstel Grad über dem absoluten Nullpunkt abzukühlen. Damit stellten sie einen neuen Tieftemperaturrekord auf. Mit der neuen Technik werden sich künftig viele Formen von Quantenmaterie erzeugen und erforschen lassen, die bislang experimentell nicht zugänglich waren.

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Ein tiefer Einblick in die Hauptvakuumkamer des NaK-Molekülexperiments. In der Mitte werden vier Hochspannungskupferdrähte zu einer Ultrahochvakuum-Glasküvette geführt, in der die ultrakalten polaren Moleküle erzeugt wurden.

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Bild des Sodium-Lasersystems, das gelbes Licht für die Laserkühlung und Abbildung von Sodiumatomen generiert.

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Wird ein stark verdünntes Gas auf extrem tiefe Temperaturen abgekühlt, zeigen sich bizarre Eigenschaften. So formen manche Gase ein sogenannte Bose-Einstein-Kondensat – eine Art von Materie, in der sich alle Atome im Gleichtakt bewegen. Ein anderes Beispiel ist die Suprasolidität: ein Zustand, bei dem sich Materie wie eine reibungslose Flüssigkeit mit periodischer Struktur verhält. Besonders mannigfache und aufschlussreiche Formen von Quantenmaterie erwarten die Physiker beim Kühlen von Gasen, die aus polaren Molekülen bestehen. Sie sind gekennzeichnet durch eine ungleichmäßige elektrische Ladungsverteilung. Anders als freie Atome können sie rotieren, vibrieren und sich gegenseitig anziehen oder abstoßen. Allerdings ist es schwierig, molekulare Gase auf ultratiefe Temperaturen zu kühlen.

Ein Team von Forschern am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching hat nun eine einfache und effektive Möglichkeit geschaffen, um dieses Hemmnis zu beseitigen. Sie basiert auf einem rotierenden Feld aus Mikrowellen.

Ein Vorgang wie in einer Tasse Kaffee

Für ihre Experimente verwendeten die Forscher ein Gas aus Natrium-Kalium-Molekülen (NaK), die durch Laserlicht in einer optischen Falle eingesperrt waren. Um das Gas zu kühlen, setzte das Team auf ein Verfahren, das sich zum Kühlen von ungebundenen Atomen seit Langem bewährt: die sogenannte Verdampfungskühlung. „Diese Methode funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip, wie man es von einer Tasse heißen Kaffees kennt”, sagt Xin-Yu Luo, Leiter des Labors für ultrakalte polare Moleküle in der Abteilung Quanten-Vielteilchensysteme des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik: Im Kaffee stoßen ständig Wasser-Moleküle zusammen und tauschen dabei einen Teil ihrer Bewegungsenergie aus. Kollidieren zwei besonders energiereiche Moleküle, kann eines davon schnell genug werden, um dem Kaffee zu entkommen – es dampft aus der Tasse. Das andere Molekül bleibt mit weniger Energie zurück. So kühlt sich der Kaffee allmählich ab. Auf dieselbe Weise lässt sich ein Gas bis auf wenige Nanokelvin abkühlen – milliardstel Grad über dem absoluten Nullpunkt bei minus 273,15 Grad Celsius.

Allerdings: „Besteht das Gas aus Molekülen, müssen diese bei sehr tiefen Temperaturen zusätzlich stabilisiert werden“, sagt Luo. Der Grund liegt in der im Vergleich zu ungebundenen Atomen deutlich komplexeren Struktur von Molekülen. Dadurch lassen sich ihre Bewegungen bei Kollisionen nur schwer kontrollieren. Die Moleküle können sich bei Zusammenstößen ineinander verhaken. Bei polaren Molekülen kommt hinzu: „Sie verhalten sich wie winzige Magnete und können – wie diese – zusammenbacken, wodurch sie für das Experiment verlorengehen“, erklärt Andreas Schindewolf, der im Team von Xin-Yu Luo forscht. Diese Schwierigkeiten haben sich in den letzten Jahren als enormes Hindernis für die Forschung erwiesen.

Mikrowellen halten die Moleküle auf Abstand

Um das Hindernis zu beseitigen, setzten die Garchinger Forscher auf einen Trick: die zusätzliche Anwendung eines speziell präparierten elektromagnetischen Feldes, das als energetische Abschirmung der Moleküle dient – und sie am Verfangen und Verklumpen hindert. „Diesen Energieschirm realisierten wir durch ein starkes, rotierendes Mikrowellenfeld”, erklärt Andreas Schindewolf. „Das Feld bewirkt eine Rotation der Moleküle mit einer höheren Frequenz.“ Kommen sich zwei Moleküle zu nahe, können sie daher zwar Bewegungsenergie austauschen – doch zugleich richten sie sich so zueinander aus, dass sie sich abstoßen und rasch wieder voneinander entfernen.

Um ein Mikrowellenfeld mit den erforderlichen Eigenschaften zu erzeugen, platzierten die Forscher eine schraubenförmige Antenne unter der optischen Falle mit dem Gas aus Natrium-Kalium-Molekülen. „Die Rate, mit der sich die Moleküle ineinander verhakten, wurde dadurch um mehr als eine Größenordnung reduziert“, berichtet Xin-Yu Luo. Zudem entstand unter dem Einfluss des Feldes eine starke und weitreichende elektrische Wechselwirkung zwischen den Molekülen. „Sie stießen infolgedessen viel häufiger zusammen als ohne das rotierende Mikrowellenfeld – im Schnitt rund 500-mal pro Molekül“, sagt der Physiker. „Das genügte, um das Gas durch den Verdampfungseffekt bis dicht an den absoluten Nullpunkt zu kühlen.“

Ein neuer Tieftemperatur-Rekord

Bereits nach einer drittel Sekunde erreichte die Temperatur rund 21 Nanokelvin – und lag damit deutlich unter der kritischen „Fermi-Temperatur“. Sie markiert die Grenze, ab der Quanteneffekte das Verhalten eines Gases bestimmen – und bizarre Phänomene sich bemerkbar machen. „Die von uns erreichte Temperatur ist die bislang tiefste in einem Gas aus polaren Molekülen“, freut sich Luo. Und der Max-Planck-Forscher ist überzeugt, dass sie durch technische Verfeinerungen des experimentellen Aufbaus sogar noch zu weit tieferen Temperaturen gelangen können.

Die Resultate könnten weitreichende Folgen für die Forschung an Quanteneffekten und Quantenmaterie haben. „Da die neue Kühltechnik so simpel ist, dass sie sich auch in die meisten experimentellen Aufbauten mit ultrakalten polaren Molekülen integrieren lässt, dürfte die Methode bald eine breite Anwendung finden – und zu etlichen neuen Erkenntnissen beitragen“, meint Immanuel Bloch, Direktor der Abteilung für Quanten-Vielteilchensysteme. „Denn die Kühlung per Mikrowellenfeld erschließt nicht nur eine Reihe neuer Untersuchungen an eigenartigen Materiezuständen wie Suprafluidität oder Suprasolidität“, sagt Bloch. „Sie könnte überdies in Quantentechnologien nützlich sein.“ Zum Beispiel in Quantencomputern, wo sich Daten vielleicht durch ultrakalte Moleküle speichern ließen. „Für Forscher, die sich mit ultrakalten polaren Molekülen beschäftigen, sind das wahrhaft spannende Zeiten“, freut ich Xin-Yu Luo.

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