Überraschung in der Quantenwelt
Durch Fehlordnung zum ferromagnetischen topologischen Isolator
Jörg Bandmann/ct.qmat
Vorboten neuartiger Technologien
Schon 2019 gelang einem internationalen Forschungsteam rund um die Materialchemikerin Anna Isaeva – damals Juniorprofessorin am Würzburg-Dresdner Exzellenzcluster ct.qmat - Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien – mit der Herstellung des ersten antiferromagnetischen topologischen Isolators Mangan-Bismut-Tellurid (MnBi2Te4) eine kleine Sensation. Denn dieser Wunderwerkstoff braucht kein starkes äußeres Magnetfeld mehr – er bringt sein eigenes inneres Magnetfeld mit. Dies bietet die Chance für neuartige elektronische Bauelemente, die Informationen magnetisch kodieren und auf der Oberfläche widerstandsfrei transportieren. Somit könnte Informationstechnologie künftig beispielsweise nachhaltiger und energiesparender werden. Weltweit analysieren Forschende seither unterschiedliche Facetten dieses vielversprechenden Quantenmaterials.
Mit MnBi6Te10 Meilenstein gelungen
Basierend auf MnBi2Te4 hat ein Team des Exzellenzclusters ct.qmat nun einen topologischen Isolator mit ferromagnetischer Ordnung gezielt maßgeschneidert – MnBi6Te10. Ferromagnetisch bedeutet: Alle magnetischen Momente der einzelnen Mangan-Atome zeigen in die gleiche Richtung. Im Unterschied zum antiferromagnetischen Vorgänger MnBi2Te4, bei dem nur die magnetischen Momente innerhalb einer einzelnen Materialschicht in die gleiche Richtung zeigen. Der kleine Unterschied in der Zusammensetzung des Kristalls aus einzelnen chemischen Elementen bewirkt tatsächlich Großes, denn der ferromagnetische topologische Isolator MnBi6Te10 hat ein robustes und stärkeres eigenes Magnetfeld als sein antiferromagnetischer Vorgänger. „Wir konnten das Quantenmaterial MnBi6Te10 so herstellen, dass es bereits bei 12 Kelvin ferromagnetisch wird. Auch wenn diese -261 Grad Celsius für Bauelemente nach wie vor zu niedrig sind, ist das der erste Schritt auf einem noch langen Weg“, erklärt der Würzburger Professor Vladimir Hinkov, dessen Forschungsgruppe den Ferromagnetismus mit Messungen auf der Materialoberfläche nachgewiesen hat – dort, wo der magnetische topologische Isolator Strom verlustfrei leitet, während er im Innern isoliert.
Wettlauf um den Wunderwerkstoff
Das ct.qmat-Forschungsteam war nicht das einzige, das im Labor an einem ferromagnetischen topologischen Isolator gearbeitet hat: „Nach dem großen Erfolg von MnBi2Te4 wurde weltweit sofort nach weiteren Kandidaten für magnetische topologische Isolatoren gesucht. 2019 haben dann insgesamt vier Gruppen MnBi6Te10 als neuen Hoffnungsträger synthetisiert – allerdings war der Wunderwerkstoff nur bei uns ferromagnetisch“, sagt Isaeva, heute Professorin für Experimentelle Physik an der Universität Amsterdam.
Fehlordnung im System
In nahezu detektivischer Arbeit haben die Dresdner Materialchemiker:innen um Isaeva herausgefunden, wie sich ein solches kristallines Material fertigen lässt und dabei eine verblüffende Entdeckung gemacht: Manche Atome müssen aus ihrer eigentlichen Atomschicht umpositioniert werden, ihre ideale Anordnung im Kristall also verlassen. „Durch die Verteilung von Mangan-Atomen in alle Kristallschichten werden die umliegenden Mangan-Atome angeregt, ihr magnetisches Moment in die gleiche Richtung zu drehen – die magnetische Ordnung ist ansteckend“, so Isaeva. „Atomare Fehlordnung, wie sie in unserem Kristall herrscht, gilt in der Chemie und Physik meist als störend. Geordnete Atomstrukturen können einfacher berechnet und besser verstanden werden, führen aber nicht immer zu einem Ergebnis“, ergänzt Hinkov. „Für uns ist gerade diese Fehlordnung der entscheidende Mechanismus, damit MnBi6Te10 ferromagnetisch wird“, betont Isaeva.
Netzwerk für Spitzenforschung
An der Forschungsleistung waren Cluster-Wissenschaftler:innen der Technischen Universität (TU) Dresden, der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg und des Leibniz-Instituts für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) Dresden beteiligt. Die Kristalle wurden von Materialchemiker:innen rund um Isaeva (TU Dresden) hergestellt. Anschließend wurde der Ferromagnetismus im Volumen der Proben am IFW Dresden nachgewiesen. Hier entwickelte Dr. Jorge I. Facio zudem eine umfassende Theorie, die den Ferromagnetismus des fehlgeordneten MnBi6Te10 sowie ebenso die antiferromagnetischen Konkurrenten erklärt. Die entscheidenden Oberflächenmessungen verantwortete das Team um Hinkov von der JMU Würzburg.
Aktuell arbeiten die Wissenschaftler:innen daran, dass der Ferromagnetismus bei deutlich höheren Temperaturen entsteht. Erste Ergebnisse gibt es bereits für ca. 70 Kelvin. Zugleich müssen die ultratiefen Temperaturen erhöht werden, bei denen sich die exotischen Quanteneffekte zeigen, denn die verlustfreie Stromleitung setzt erst bei 1 bis 2 Kelvin ein.