Wie viele Wassermoleküle braucht man, um Salzsäure aufzulösen?
DESY
Das Forschungsteam um Melanie Schnell, Leitende Wissenschaftlerin bei DESY und Professorin für Physikalische Chemie an der Universität Kiel, hat die strukturelle und elektronische Konfiguration von Komplexen aus Salzsäure und Wasser charakterisiert, indem es präzise vermessen hat, wie der Kernspin des Säurenbestandteils Chlor mit dem Gesamtdrehimpuls der Salzsäure zusammenhängt, wenn die Säure an eine zunehmende Menge von Wassermolekülen gebunden wird. Diese Verbindung hängt stark von der elektronischen Umgebung des Chloratoms und damit seiner Bindungssituation ab. In einer kürzlich in der Fachzeitschrift "Science" erschienenen Veröffentlichung zeigen sie, dass mindestens fünf Wassermoleküle erforderlich sind, damit sich das Salzsäure-Molekül spontan auflöst, ausgelöst durch eine Konfiguration von drei Wasserstoffbrückenbindungen.
Stoffe weisen in ihrer isolierten, gasförmigen Form ganz andere Eigenschaften auf als in ihrer kondensierten Form. In der Gasphase ist Salzsäure beispielsweise ein Molekül mit einer kovalenten Bindung, aber in Lösung mit Wasser löst sie sich in ein Chloranion (Cl-) und ein Wasserstoffkation (H+) auf, das sich mit einem der umgebenden Wassermoleküle (H2O) zu einer Spezies namens Hydronium, H3O+, verbindet. Indem sie der Salzsäure einzelne Wassermoleküle hinzufügen, erhalten die Wissenschaftler:innen ein besseres Bild davon, wie dieser Auflösungsprozess abläuft und wie sich der größenabhängige Reaktionsprozess verändert. Dies ist entscheidend für das Verständnis verschiedener grundlegender chemischer Prozesse auf molekularer Ebene, zum Beispiel das Wachstum und die Bildung von Aerosolpartikeln, die zur Luftverschmutzung beitragen, oder katalytische Reaktionen auf Oberflächen.
Salzsäure ist in Forschung und Industrie ein starker Partner – sie ist eine der am häufigsten verwendeten starken Säuren. In früheren spektroskopischen Studien sind die Strukturen von Salzsäure-Komplexen mit bis zu drei Wassermolekülen erfolgreich charakterisiert worden. In diesem Stadium der Aggregation wurde die Auflösung von Salzsäure allerdings nicht beobachtet. Theoretische Modelle sagen die Auflösung bei vier oder mehr Wassermolekülen vorher. Die entsprechenden Salzsäure-Hydrate entwickelten sich zu dreidimensionalen Strukturen mit vielen möglichen unterschiedlichen und gleichartigen Anordnungen. Bei Raumtemperatur wandeln sich diese Strukturen schnell ineinander um. Daher ist es eine Herausforderung, diese Prozesse zu erfassen und zu analysieren.
Die Gruppe um Melanie Schnell nutzte eine Überschallexpansion, um die Strukturen von Salzsäure-Wasser-Komplexen im Vakuum einzufrieren und zu isolieren. Bei dieser Überschallexpansion werden die Salzsäure- und Wassermoleküle in einer Vakuumkammer durch eine kleine Lochblende von hohen Drücken auf sehr niedrige Drücke ausgedehnt. Während dieses Ausdehnungsprozesses stoßen die Moleküle miteinander und mit einem inerten Trägergas zusammen. Diese Zusammenstöße führen zu einer Umwandlung der inneren Energie der Moleküle in stark gerichtete kinetische Energie. Auf diese Weise werden die Moleküle sehr kalt, typischerweise 1-2 K, also nahe dem absoluten Nullpunkt. Bei einer so niedrigen Temperatur beginnen die Moleküle zu kondensieren – sie bilden Komplexe.
Diese Komplexe wurden dann mit Mikrowellenstrahlung bestrahlt, um zu sehen wie sie sich drehen. Diese sogenannten Rotationssignaturen geben detaillierte Informationen über die Struktur der Salzsäure-Wasser-Komplexe und ermöglichen so eine eindeutige Identifizierung der verschiedenen strukturellen Anordnungen. Vor allem die Kopplung zwischen dem Kernspin des Chlors und dem Drehimpuls der Komplexe, die mit diesen Rotationssignaturen verbunden ist, kann mit der Mikrowellenspektroskopie als zusätzliche charakteristische Hyperfeinstruktur in den Spektren nachgewiesen werden. Diese Hyperfeinstruktur wird stark von der Elektronenverteilung um den Chlor-Kern, also von seiner Bindungssituation, beeinflusst. Folglich gibt die Analyse dieser Hyperfeinstruktur direkte Informationen darüber, ob die Wasserstoff-Chlor-Einheit in diesen Komplexen kovalent gebunden oder dissoziiert (ionisch) ist – in Abhängigkeit von der Anzahl der umgebenden Wassermoleküle.
Diese Forschung ist eng mit den Aktivitäten des Centre for Molecular Water Science (CMWS) verbunden, das sich mit der Rolle von molekularem Wasser in so unterschiedlichen Bereichen wie Klima, Energie und Gesundheit befasst.
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