Chemie nach Art des Eintopfs

Kann es so einfach sein, sehr unterschiedliche Stoffe in einer „Eintopf-Synthese“ zu einer neuen Materialklasse zu vereinen?

05.07.2024
Copyright: Dr. Robert Pazdzior

Prof. Dr. Miriam Unterlass und Frank Sailer im Labor.

ChemikerInnen der Universität Konstanz schildern, wie sie eine sehr ungewöhnliche Reaktion möglich gemacht haben.

Ein alter Menschheitstraum ist es, das Beste aus zwei Welten zu vereinen: die Vorteile von zwei gegensätzlichen Dingen zusammenzubringen, ohne deren Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Dieser alte Traum wird auch in der Chemie geträumt: Wie gut wäre es, die Eigenschaften von organischen und anorganischen Stoffen zu kombinieren? 

Organische Stoffe stehen für hohe Funktionsvielfalt, während anorganische Stoffe sehr stabil sind. Dass ChemikerInnen sie in Form hybrider Materialien zusammenbringen wollen, ist nicht neu. Das Problem ist nur: Organische und anorganische Stoffe benötigen sehr unterschiedliche Reaktionsbedingungen. Man kann sie nicht einfach in einen Topf werfen und zweimal umrühren. Oder etwa doch? Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Miriam Unterlass von der Universität Konstanz hat ein Verfahren entwickelt, das genau dies leisten kann: eine „Eintopfsynthese“, wie die ChemikerInnen das Verfahren nennen, oder besser gesagt eine „Ein-Topf-Synthese“.

„Ein-Topf-Synthese“ bedeutet genau das, was man sich unter dem Namen vorstellt: Die sehr unterschiedlichen Reagenzien werden nicht getrennt behandelt, sondern alle in einem gemeinsamen Gefäß zusammengebracht. Ganz wichtig ist dabei, dass die Reaktionen der unterschiedlichen Stoffklassen zum selben Zeitpunkt und synergetisch stattfinden. Damit das aber überhaupt funktionieren kann, muss die richtige Balance zwischen den sehr unterschiedlichen Reaktionsbedingungen gefunden werden. Das ist sehr knifflig und erfordert viel Laborarbeit, doch wie die Konstanzer ChemikerInnen zeigen, kann es mit dem „richtigen Rezept“ sehr einfach werden.

Der richtige Garpunkt

„Die Schönheit unseres Ansatzes liegt in seiner Einfachheit“, unterstreicht Frank Sailer, der die Ein-Topf-Synthese in seiner Doktorarbeit maßgeblich mitentwickelte. „Wie bei einem Eintopf muss man den richtigen Garpunkt finden, sodass die Linsen noch nicht zerfallen sind, aber die Kartoffeln schon durch sind.“ Übertragen auf chemische Reaktionen bedeutet dies: Man benötigt das richtige Verhältnis aus Druck, Temperatur und Zeit. Und natürlich die richtigen Ingredienzien.

„Wir brauchen keine toxischen Katalysatoren oder Lösungsmittel“, nennt Sailer Vorteile des Verfahrens – es ist somit nachhaltig und umweltschonend. Als Lösungsmittel kommt nur reines Isopropanol zum Einsatz (der Hauptbestandteil von Desinfektionsmittel), das unschädlich und in großen Mengen verfügbar ist. Die Hauptzutat der neuen Materialklasse sind spezielle Farbstoff-Moleküle, sogenannte Pigmente, und geschichtetes Titandioxid.

Wenn es so einfach ist, warum wurde dieses Reaktionsverfahren dann nicht schön längst entdeckt? „Weil der Gedanke sehr ungewöhnlich ist. Die organischen Komponenten werden normalerweise nicht unter solchen Bedingungen synthetisiert“, erklärt Sailer. Solche Reaktionswege herauszufinden ist ein erklärtes Ziel der Arbeitsgruppe von Miriam Unterlass: Sie ergründet, wie chemische Syntheseverfahren durch die Wahl der richtigen Rahmenbedingungen optimiert werden können und zu besseren, nachhaltigeren Ergebnissen führen. „Wir stellen bessere Materialien auf schnellere und umweltfreundlichere Weise her“, schildert Miriam Unterlass.

Das Beste aus zwei Welten?

Ist es denn nun das Beste aus zwei Welten, was aus der Eintopfsynthese herausgekommen ist? Genau genommen ist es noch sehr viel mehr. „Wir wollen nicht nur eine Summe der Eigenschaften, sondern eine synergetische Wechselwirkung“, stellt Frank Sailer klar, „neue Eigenschaften, die die beiden Ausgangsmaterialien nicht aufweisen.“ Die neue Materialklasse, die Sailer und seine KollegInnen hervorbrachten, ist aufgrund ihrer Schichtstruktur geradezu prädestiniert für Batterien. Der Name der neuen Materialklasse: Pigmente@TiO2.

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