Ein Wasserstoff-Highway in der Tiefsee
Max-Planck-Forscher entdecken symbiotische Lebensgemeinschaft in der Tiefsee, die Energiegewinnung auf der Basis von Wasserstoff betreibt
Heiße Quellen in der Tiefsee entstehen an den Verschiebungszonen der Erdplatten, dort, wo Magma in die obere Erdkruste aufsteigt und Seewasser mit dem hoch erhitzten Magma in Kontakt kommt. Das erhitzte Seewasser löst Mineralien aus der Erdkruste, und tritt mit bis zu 400 Grad Celsius an den sogenannten Schwarzen Rauchern wieder aus. So gelangen Schwefelwasserstoff, Ammonium, Methan, Eisen oder Wasserstoff ins Meer. Aus der Oxidation dieser anorganischen Verbindungen gewinnen die Organismen Energie, um Kohlenhydrate aufzubauen. Da in die Tiefen des Ozeans kein Sonnenlicht vordringt, müssen chemische Reaktionen diese Energie liefern. In Analogie zur Fotosynthese spricht man daher von Chemosynthese.
Chemosynthetische Mikroorganismen bilden die Existenzgrundlage für einzigartige Lebensgemeinschaften an den heißen Quellen der Tiefsee. Denn viele, bis vor kurzem noch vollkommen unbekannte Arten von Würmern, Weichtieren und Gliederfüßern können dort nur überleben, weil sie symbiotische Beziehungen mit Bakterien eingegangen sind und somit quasi ihr eigenes Kraftwerk betreiben. Bislang waren allerdings nur zwei Quellen bekannt, aus denen die jeweiligen symbiotischen Mikroorganismen Energie gewinnen: Schwefelwasserstoff und Methan. „Wir haben jetzt eine dritte Quelle entdeckt“, sagt die Leiterin des Forschungsprojektes Nicole Dubilier vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen.
In 3.000 Meter Tiefe am Mittelatlantischen Rücken, einem untermeerischen Gebirgszug, befindet sich auf halber Strecke zwischen der Karibik und den Kapverdischen Inseln das Logatchev-Hydrothermalfeld. In einer Reihe von Forschungsfahrten registrierten die Forscher hier die höchsten jemals an heißen Quellen gemessenen Konzentrationen an Wasserstoff. „Nach unseren Berechnungen bringt die Oxidation von Wasserstoff dort siebenmal mehr Energie als die Methanoxidation und bis zu 18-mal mehr Energie als die Oxidation von Sulfid“, erklärt Dubiliers Mitarbeiterin Jillian Petersen.
In den Kiemen der dort lebenden Tiefseemuschel Bathymodiolus puteoserpentis entdeckten die Wissenschaftler dann erstmals ein Schwefel-oxidierenden Symbionten, der auch Wasserstoff einsetzen kann, um Energie und Nahrung zu gewinnen. Um diesen mikrobiellen Wasserstoff-betriebenen „Brennstoffzellen“ der Tiefseemuschel auf die Spur zu kommen, waren die Forscher auf die Tiefseeroboter MARUM-QUEST vom MARUM und Kiel 6000 vom IFM-GEOMAR angewiesen. Damit sammelten sie Proben in mehreren tausend Meter Tiefe. Mittels molekularbiologischer Methoden gelang es ihnen anschließend eines der Schlüsselgene für die Wasserstoff-Oxidation nachzuweisen und den Wasserstoff-Verbrauch experimentell zu bestimmen.
Muschelfelder um die hydrothermalen Quellen herum erreichen eine Ausdehnung von einigen hundert Quadratmetern, auf denen sich dann bis zu einer halben Millionen Individuen tummeln. „Unsere Experimente deuten darauf hin, dass die Muschelpopulation im Logatchev-Hydrothermalfeld bis zu 5000 Liter Wasserstoff pro Stunde oxidiert“, rechnet Frank Zielinski vor, der in der Bremer Arbeitsgruppe von Dubilier promoviert hat und inzwischen am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig forscht. Die bakteriellen Untermieter der Muscheln spielen demnach eine beachtliche Rolle als Primärproduzenten und bei der Umwandlung von geochemischer Energie in Biomasse. „Entlang der mittelozeanischen Rücken gibt es so etwas wie einen „Wasserstoff-Highway“ mit Zapfstellen für die symbiotische Primärproduktion – das sind die Hydrothermalquellen“, sagt Jillian Petersen.
Auch die Symbionten anderer an den Hydrothermalquellen lebenden Tiere, wie die des Röhrenwurms Riftia pachyptila oder die Garnele Rimicaris exoculata, besitzen dieses Schlüsselgen. „Wir gehen deshalb davon aus, dass die Fähigkeit, Wasserstoff als Energiequelle zu nutzen, unter diesen symbiotischen Gemeinschaften weit verbreitet ist, und zwar selbst dort, wo der Wasserstoff in nur sehr geringen Mengen vorkommt“, so Nicole Dubilier.
Originalveröffentlichung
Jillian M. Petersen et al.; Hydrogen is an energy source for hydrothermal vent symbioses; Nature 474, 11 August 2011