Physiker beobachten, wie ein Elektron im Festkörper in neuartige Quasiteilchen zerfällt
Grafik: David Hilf, Hamburg
Alle Elektronen besitzen eine als „Spin“ bezeichnete Eigenschaft: Man kann sich die Elektronenspins als winzige atomare Magnete vorstellen, die den Magnetismus der Stoffe und Materialien erzeugen. Gleichzeitig bewegen sich die Elektronen auf bestimmten Bahnen, den sogenannten „Orbitalen“, um den Atomkern. In der Regel gehören diese beiden quantenphysikalischen Eigenschaften (Spin und Orbitalmoment der Bahnbewegung) zu einem bestimmten Elektron. Jetzt gelang es in dem Experiment, diese Eigenschaften des Elektrons zu trennen.
Röntgenstrahlung spaltet das Elektron in Spinon und Orbiton
Mit Messungen an Strontium-Kupferoxid-Kristallen, Sr2CuO3, konnten die Wissenschaftler feststellen, dass sich die Elektronen in zwei neue Teilchen aufspalten. In dem verwendeten Material ist die Bewegung der Teilchen auf eine Dimension beschränkt; das heißt, sie können sich nur entlang einer Achse fortbewegen, entweder vor- oder rückwärts. Mithilfe von Röntgenstrahlung haben die Wissenschaftler einige Elektronen der Kupferatome im Strontium-Kupferoxid Sr2CuO3 auf Orbitale höherer Energie gehoben, was einer schnelleren Bewegung um den Atomkern entspricht. Nach dieser Anregung spalteten sich die Elektronen in zwei Teile auf. Eines der neu erzeugten Teilchen, das „Spinon“, trägt den Elektronenspin, also die magnetischen Eigenschaften. Das andere Teilchen, das „Orbiton“, trägt das orbitale Moment, also die Eigenschaft der nun erhöhten Bahnenergie. Diese beiden fundamentalen Momente des Elektrons konnten somit erstmals in voneinander getrenntem Zustand beobachtet werden.
Im Experiment richteten die Wissenschaftler Röntgenlicht der Synchrotron Lichtquelle Schweiz, SLS, auf das spezielle Kupferoxid. Dabei haben sie beobachtet, wie sich Energie und Impuls der Röntgenstrahlung bei der Kollision mit der Substanz verändert. Aus der Veränderung lassen sich die Eigenschaften der neu erzeugten Teilchen bestimmen. „Für die Experimente benötigten wir nicht nur Röntgenlicht mit sehr hoher Intensität und äußerst genau bestimmter Energie, um die gewünschte Wirkung auf die Kupferatome zu erzielen“, erklärt Thorsten Schmitt, der Leiter der Experimentatorengruppe am PSI, „sondern auch extrem präzise Röntgendetektoren.“
Elektronenspaltung vermutlich in vielen Materialien nachweisbar
«Schon seit einiger Zeit weiss man, dass sich ein Elektron in bestimmten Materialien prinzipiell aufspalten kann», erklärt Jeroen van den Brink, der Leiter der Theoretikergruppe am IFW Dresden, «aber bisher fehlte die empirische Bestätigung dieser Trennung in voneinander unabhängige Spinonen und Orbitonen. Jetzt wissen wir genau, wo wir diese neuen Teilchen suchen müssen, und werden sie in zahlreichen weiteren Materialien finden.»
Ergebnisse könnten das Verständnis der Hochtemperatur-Supraleitung unterstützen
Die beobachtete Aufspaltung der Elektronen könnte ausserdem wichtige Schlüsse auf einem anderen Forschungsgebiet ermöglichen, nämlich der Hochtemperatur-Supraleitung. Elektronen verhalten sich in Sr2CuO3 und in Supraleitern auf Kupferbasis ähnlich. Somit eröffnet das Verständnis der Aufspaltung eines Elektrons in dem hier betrachteten Material möglicherweise neue Wege zu einem erweiterten theoretischen Verständnis der Hochtemperatur-Supraleitung.