Der Klimawandel macht nur Pause
Die Erderwärmung geht weiter, auch wenn die schlimmsten Prognosen weniger wahrscheinlich werden
© DKRZ/MPI für Meteorologie
In den vergangenen beiden Jahrzehnten zeigte sich der Klimawandel wechselhaft. Während die globale Durchschnittstemperatur in den 1990er-Jahren schneller stieg als jemals zuvor, nämlich um 0,24 Grad Celsius, erhöhte sie sich im darauffolgenden Jahrzehnt nur noch um etwa 0,03 Grad Celsius. „Diese Abschwächung der Temperaturerhöhung an der Erdoberfläche können wir mit unseren Modellen bisher nicht erklären“, sagt Jochem Marotzke. „Insgesamt hat sich die Erde allerdings weiter erwärmt, aber diese Erwärmung hat vor allem in tieferen Schichten der Ozeane stattgefunden.“
Jochem Marotzke gehört zu einem Team der weltweit renommiertesten Klimaforscher, das die jüngste Entwicklung der Oberflächentemperatur nun in einer neuen Vorhersage berücksichtigt, wie die Erde durch den Treibhauseffekt vor allem von Kohlendioxid (CO2) aufheizen wird. Diese Prognose bestätigt, dass die Klimamodelle den Trend der Erderwärmung über mehrere Jahrzehnte, also etwa bis zur Mitte oder bis zum Ende des 21. Jahrhunderts, richtig vorhersagen. Es gibt also in keiner Weise Grund zur Entwarnung.
Die Endgültige Erwärmung nach einer CO2-Verdopplung braucht hunderte Jahre
Das Team um Alexander Otto und Myles R. Allen von der Universität Oxford unterscheidet dabei zwischen einer mittelfristigen und einer langfristigen Reaktion des Klimas auf eine Verdopplung des Kohlendioxid-Gehaltes in der Luft, die voraussichtlich um das Jahr 2050 erreicht sein wird. Der dadurch verursachte Treibhauseffekt macht sich schon unmittelbar bemerkbar, sobald die Kohlendioxid-Konzentration so weit zugenommen hat. Wie stark, drücken Klimaforscher in der vorübergehenden Klimaantwort aus (TCR für englisch: transient climate response).
Da das Klimasystem sehr träge ist und etwa die Ozeane sich nur sehr langsam aufheizen, dauert es jedoch bis sich die Wirkung der Treibhausgase voll entfaltet: Eine Erwärmung durch den Treibhauseffekt wird durch zahlreiche Rückkopplungen verstärkt, durch einige Prozesse aber auch abgeschwächt. Erst wenn dieses komplizierte Wechselspiel zur Ruhe gekommen ist, erreicht das Klima wieder einen stabilen Zustand. Diese langfristige Reaktion des Klimas berechnen Klimaforscher in der Gleichgewichts-Klimasensitivität (ESC für equilibrium climate sensitivity). Sie entspricht der endgültigen Temperaturerhöhung durch eine verdoppelte CO2-Konzentration, die sich vermutlich erst nach einigen 100 Jahren einstellt.
Sowohl die mittelfristige Klima-Antwort als auch die langfristigen Reaktion sagen etwas über die Stärke der Rückkopplungen zwischen CO2-Anstieg und Erderwärmung aus. Beide Werte hat das internationale Team nun neu berechnet.
In die Rechnung gehen neben den Messdaten zur Temperaturerhöhung im vergangenen Jahrzehnt die wesentlichen Faktoren ein, die für den Wärmehaushalt der Erde entscheidend sind: Das ist vor allem die Energie, die von der Sonne eingestrahlt wird. Dazu gehört aber auch die Wärme, die wegen des Treibhauseffektes von Kohlendioxid nicht wieder ins Weltall abgestrahlt werden kann. Diese beträgt bei einer Verdopplung der CO2-Konzentration ziemlich genau 3,44 Watt pro Quadratmeter. Ferner fließen in die Rechnungen die Effekte von Vulkanausbrüchen und von Aerosolen ein. Bei letzteren handelt es sich um Schwebteilchen in der Luft, die zum einen Sonnenstrahlung abschirmen und zum anderen als Kondensationskeime für Wolkentröpfchen dienen. Die langfristige Klimareaktion berücksichtigt zudem die Wärme, die Ozeane mit der Zeit aufnehmen.
Am Ende des Jahrhunderts droht eine Erwärmung von weit mehr als zwei Grad
Anhand dieser Werte berechnen die Forscher, dass sich die bodennahe Atmosphäre bei einer Verdopplung des CO2-Gehaltes mit 90prozentiger Wahrscheinlichkeit um 0,9 bis 2,0 Grad Celsius erwärmt haben wird; am wahrscheinlichsten ist eine Temperaturerhöhung um 1,3 Grad. „Die vorübergehende Klimaantwort, die wir anhand der neuesten Messdaten berechnet haben, liegt im Rahmen der Vorhersagen der Klimamodelle, wenn auch nicht an deren oberen Rand“, sagt Alexander Otto, der die Rechnungen an der Universität von Oxford machte.
Sollte nach einer Verdopplung der Kohlendioxid-Konzentration kein zusätzliches Treibhausgas in die Atmosphäre geblasen werden, heizte sich die Erde in den folgenden Jahrhunderten verglichen mit vorindustriellen Werten mit 90prozentiger Wahrscheinlichkeit um 1,2 bis 3,9 Grad auf. Am wahrscheinlichsten für die langfristige Klimareaktion ist ein Anstieg um zwei Grad. „Wie stark die langfristige Erwärmung ausfallen wird, ist jedoch noch ziemlich unsicher“, sagt Otto. „Für die meisten politischen Entscheidungen ist aber ohnehin entscheidend, wie stark die Erwärmung in den nächsten 50 bis 100 Jahren ausfällt.“
Die Erde wird sich also vielleicht nicht so stark aufheizen, wie die schlimmsten Prognosen fürchten ließen. „Das ist zwar eine gute Nachricht“, sagt Reto Knutti, einer der beteiligten Forscher von der ETH Zürich. „Aber wenn der Ausstoß der Treibhausgase unvermindert weitergeht, werden wir am Ende des Jahrhunderts trotzdem eine Temperaturerhöhung von weit über zwei Grad haben.“
Wie Aerosole und Wolken im Klima mitmischen, ist nicht völlig klar
Ob sich die Erde tatsächlich etwas langsamer erwärmt, als viele Klimamodelle bisher nahelegten, bleibt zudem unsicher – trotz der Messdaten aus den 2000er-Jahren. „In Anbetracht dessen, was wir über Klimavariabilität wissen und nicht wissen, sollten wir ein einzelnes Jahrzehnt nicht überinterpretieren“, sagt Jochem Marotzke. Denn die Forscher müssen immer noch einige Details klären, wie das Klima auf die Zunahme der Treibhausgase reagiert. „Derzeit gehen wir zum Beispiel davon aus, dass die Stärke der Rückkopplungen über die Zeit konstant bleibt“, sagt Jochem Marotzke. „Aber wir wissen nicht, ob das tatsächlich so ist.“
Unsicher ist zudem die Rolle der Aerosole: Wie viel Sonnenlicht reflektieren die Schwebteilchen in oberen Atmosphärenschicht? Und wie beeinflussen sie die Bildung von Wolken und Niederschlag? Überhaupt die Wolken. Sie mischen auf vielfältige Weise im Klima mit: Sie bringen nicht nur Niederschlag, sie schirmen auch das Licht der Sonne ab. Unsicher ist aber, wie sie auf eine Erderwärmung reagieren: Bilden sich mehr Wolken, wenn es auf der Erde wärmer wird, weil dann mehr Wasser verdunstet? Oder bilden sich weniger Wolken, weil sich auch die Luftströmungen ändern?
Viele Fragen sind also noch offen, aber die Lücken schließen sich: „Klimaforschung ist gerade besonders spannend“, sagt Björn Stevens. „Die Messungen des globalen Wärmeaustauschs und der Luftzusammensetzung haben in den letzten zwei Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht”, sagt Björn Stevens. „Da wir außerdem die Modelle weiterentwickelt haben und sie besser prüfen können, sind wir rapide vorangekommen, vor allem in der Frage, wie die Erde auf den Anstieg der Treibhausgase reagieren wird.“