Kohlenstoffnanoröhrchen aus Vorläufermolekülen züchten

08.08.2014 - Schweiz

Forschern der Empa und des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung ist es erstmals gelungen, einwandige Kohlenstoffnanoröhrchen (CNT) mit einer einzigen, vorbestimmten Struktur – und damit mit identischen elektronischen Eigenschaften – zu «züchten». Der entscheidende Trick hierbei: Die CNT haben sich aus massgeschneiderten organischen Vorläufermolekülen auf einer Platinoberfläche quasi «von selbst» aufgebaut, wie die Forscher in der neusten Ausgabe der Fachzeitschrift «Nature» berichten. Solche CNT könnten in Zukunft etwa in ultrasensiblen Lichtdetektoren und kleinsten Transistoren zum Einsatz kommen.

Empa / Juan Ramon Sanchez Valencia

Planares Vorläufermolekül, Endkappe und wohldefiniertes Kohlenstoffnanoröhrchen – einmal als Strukturmodelle, darüber die entsprechenden Aufnahmen aus dem Rastertunnelmikroskop.

Empa / Juan Ramon Sanchez-Valencia

Auf einer Platinoberfläche faltet sich das planare Kohlenwasserstoff-Molekül zu einer Endkappe. Diese bildet den Keim, aus dem ein Kohlenstoffnanoröhrchen heranwächst (Strukturmodelle).

Empa / Juan Ramon Sanchez Valencia
Empa / Juan Ramon Sanchez-Valencia

Seit 20 Jahren beschäftigt sich nicht nur die Grundlagen- sondern auch die angewandte Forschung intensiv mit Kohlenstoffnanoröhrchen (engl. carbon nanotubes, CNT). Mit ihren ausserordentlichen mechanischen, thermischen und elektronischen Eigenschaften wurden die winzigen Röhrchen mit ihrem wabenförmigen Gitter aus graphitischem Kohlenstoff zum Inbegriff für Nanomaterialien. Sie könnten dazu verhelfen, elektronische und elektro-optische Bauteile der nächsten Generation noch kleiner als bis anhin zu fertigen und damit noch schnellere Schaltzeiten zu erreichen.

Möglichst sortenrein

Mit einem Durchmesser im Bereich eines Nanometers gelten einwandige CNT (engl. single wall CNT, SWCNT) als Quantenstrukturen; geringste strukturelle Unterschiede etwa im Durchmesser oder in der Ausrichtung des Atomgitters können zu dramatischen Veränderungen der elektronischen Eigenschaften führen: Ein SWCNT kann metallisch sein, während ein strukturell leicht anderes halbleitend ist. Entsprechend gross ist das Interesse an zuverlässigen Methoden, um SWCNT möglichst sortenrein herzustellen. Entsprechende Konzepte zur Synthese wurden zwar bereits vor gut 15 Jahren formuliert. Doch erst jetzt gelang es Oberflächenphysikern der Empa und Chemikern des Max-Planck-Instituts eine dieser Ideen im Labor auch erfolgreich umzusetzen. In der neuesten Ausgabe der Zeitschrift «Nature» beschreiben sie, wie es ihnen erstmals gelang, strukturell gleichartige SWCNT auf einer Platinoberfläche «wachsen» zu lassen und damit auch deren elektronische Eigenschaften eindeutig zu definieren.

Das Empa-Team um Roman Fasel, Leiter der Empa-Abteilung «nanotech@surfaces» und Titularprofessor am Departement für Chemie und Biochemie der Universität Bern, beschäftigt sich schon seit Längerem damit, «wie sich Moleküle auf einer Oberfläche zu komplexen Nanostrukturen umformen beziehungsweise zusammenfügen lassen». Durch so genannte Bottom-up-Synthese war es ihnen etwa gelungen, mit definierten Ketten aus «Buckyballs» (kurz gesagt auf Ballform geschrumpfte CNT) und flachen Nanobändern auf Gold gezielt bestimmte Nanostrukturen herzustellen. «Die Herausforderung bestand nun darin, das geeignete Ausgangsmolekül zu finden, das auf einer glatten Oberfläche auch tatsächlich ‹keimen› würde,» so Fasel, dessen Team sich über die Jahre ein breites Know-how auf dem Gebiet der molekularen Selbstorganisation erarbeitet hat. Den Kollegen vom Max-Planck-Institut in Stuttgart gelang es schliesslich, das passende Ausgangsmolekül zu synthetisieren, ein Kohlenwasserstoff aus immerhin 150 Atomen.

Molekulares Origami

Wie geht nun der Prozess konkret vonstatten? Im ersten Schritt muss sich das flache Ausgangsmolekül – ähnlich wie beim Origami – zu einem dreidimensionalen Objekt, dem Keimling, umformen. Dies geschieht auf einer heissen Platinoberfläche (Pt(111)) durch eine katalytische Reaktion, bei der sich, unter Abspaltung von Wasserstoffatomen, an ganz bestimmten Stellen neue Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen bilden. Aus dem flachen Molekül «faltet» sich der «Keim»: ein kleines, kuppelartiges Gebilde mit offenem Rand, das auf der Platinoberfläche sitzt. Diese so genannte Endkappe bildet den «Deckel» des wachsenden SWCNT. In einem zweiten chemischen Prozess lagern sich weitere Kohlenstoffatome an, die der katalytischen Zersetzung von Ethylen (C2H4) auf der Platinoberfläche entstammen. Sie setzen sich auf den offenen Rand zwischen Endkappe und Platinfläche und heben die Kappe immer weiter an; das Röhrchen wächst langsam in die Höhe. Dabei bestimmt ausschliesslich der Keim dessen atomare Struktur. Diesen Umstand konnten die Forscher durch eine Analyse der Schwingungsmodi der SWCNT sowie Messungen im Rastertunnelmikroskop (STM) zeigen. Weitere Untersuchungen im neuen Raster-Heliumionen-Mikroskop (SHIM) an der Empa zeigen, dass die entstandenen SWCNT über 300 Nanometer lang werden.

Es klappt!

Die Forscher haben damit bewiesen, dass mit massgeschneiderten molekularen «Keimen» das Wachstum (und damit die Struktur) langer SWCNT eindeutig vorgegeben werden kann. Bei den in dieser Studie synthetisierten SWCNT handelt es sich um spiegelbildlich symmetrische Gebilde. Je nachdem, wie sich das wabenartige Atomgitter aus dem Anfangsmolekül ableitet («gerade» oder «schräg» bezüglich der CNT-Achse), können aber auch nicht-spiegelsymmetrische, schraubenartig gewundene, das heisst rechts- oder links-drehende Röhrchen entstehen. Und genau diese Struktur bestimmt dann auch, welche elektronischen, thermo-elektrischen und optischen Eigenschaften das Material besitzt. Die Forscher können also prinzipiell durch die Wahl des Ausgangsmoleküls gezielt Materialien mit unterschiedlichen Eigenschaften herstellen.

Als nächstes wollen Fasel und seine Kollegen noch besser verstehen, wie SWCNT eine Oberfläche besiedeln. Auch wenn schon jetzt weit mehr als 100 Millionen Nanoröhrchen pro Quadratzentimeter auf der Platinoberfläche wachsen, entstehen doch nur aus einem vergleichsweise kleinen Teil der Keime auch tatsächlich «ausgewachsene» Nanoröhrchen. Stellt sich die Frage, welche Prozesse dafür verantwortlich sind und wie sich die Ausbeute erhöhen lässt.

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