Chemiebranche im Bann der Energiepreise
(dpa-AFX) Die Chemiebranche sieht sich unter Druck: Viel Konkurrenz, die deutsche Energiewende als Schreckgespenst und eine schleppende Konjunktur in Europa lassen die Unternehmen Richtung Ausland schielen. Mit einer schlagartigen Abwanderung der drittgrößten Industrie in Deutschland rechnet zwar in Zeiten abstürzender Ölpreise vorerst kein Experte. Doch neue Investitionen tätigt die Branche vor allem im Ausland. Niedrige Energiepreise locken.
"Energie ist ein sehr wichtiger Kostenfaktor in der chemischen Industrie", sagt Chemieexperte Kai Göbel vom Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte. In der Branche sind Öl und Gas auch direkter Ausgangsstoff zahlreicher chemischer Produkte. "Sofern der Ölpreis nicht nachhaltig niedrig bleiben sollte, haben wir einen großen Nachteil im Vergleich zu Ländern, die stärker auf Kohle oder Schiefergas zurückgreifen können", sagt Göbel.
Genau deshalb setzen Unternehmen wie BASF auf die USA - dem Land, das am meisten vom Schiefergasboom profitiert. Gemeinsam mit dem norwegischen Düngemittelhersteller Yara bauen die Ludwigshafener etwa eine Großproduktionsanlage für Ammoniak in den USA . "Energie intensive Anlagen werden fast ausschließlich in den USA gebaut und nicht in Deutschland oder Europa", sagt Utz Tillmann, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der chemischen Industrie (VCI). Bereits seit 2012 investiere die Branche inzwischen mehr im Ausland als im Inland. Insbesondere die USA erlebe als Investitionsziel eine Renaissance - mit Folgen möglicherweise auch für Deutschland.
"Für Arbeitsplätze in Deutschland ist der Kapazitätsaufbau in den USA schlecht", sagte VCI-Präsident Marijn Dekkers. Er forderte Entlastung für die Unternehmen bei den Kosten der Energiewende. Der europäische Branchenverband Cefic ruft nach einer koordinierten EU-Energiepolitik. Die Wettbewerbsfähigkeit sei in Gefahr, warnte Cefic-Präsident Jean-Pierre Clamadieu. Die Energiekosten seien die Achillesferse der europäischen Industrie.
Seit dem Sommer sind die Ölpreise allerdings angesichts des Überangebots um rund 40 Prozent gefallen. Dadurch schwindet der Vorteil durch das Schiefergas in den USA. Viele Projekte dürften sich deshalb nicht mehr lohnen, gibt Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zu bedenken. "Dauerhafte und umfassende Unternehmensverlagerungen der Chemiebranche erscheinen eher fraglich".
Eine schleichende teilweise Abwanderung ins außereuropäische Ausland hält Deloitte-Experte Göbel durchaus für möglich. "Deutschland und Europa bleiben wichtig", sagt er aber. Ein Erfolgsfaktor für europäische Unternehmen sei dabei die vermehrte Konzentration auf Spezialchemikalien, Komplettlösungen und Systeme für die Abnehmermärkte.
Tatsächlich ist Europa nach wie vor der wichtigste Markt für die Branche, mehr als 70 Prozent ihres Geschäfts erzielen die Unternehmen dort. Hierzulande stehen Unternehmen wie BASF, Bayer, Lanxess oder Evonik für den Industriezweig. Nach einem Produktionsplus in der deutschen Branche von prognostiziert 1,5 Prozent für das ablaufende Jahr, liegen die Erwartungen für 2015 ebenfalls auf diesem Niveau. Bei der Zahl der Beschäftigten, die zuletzt um ein Prozent auf 442 500 stieg, erwartet der VCI hingegen eine Stagnation.
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