Chemieindustrie im Umbruch: Fusionskarussell kommt in Schwung
Schwache Konjunktur, knappe Margen und ein begrenztes organisches Wachstum: In der Chemieindustrie wird das große Rad der Übernahmen gedreht
(dpa) In der Chemiebranche ist der Lanxess-Konzern nur ein kleiner Fisch. Doch der Umbau des Unternehmens in den vergangenen Jahren zeigt exemplarisch, welche Welle der Veränderung derzeit durch die Branche rauscht. Um die schwächelnde Kernsparte um synthetische Kautschuke wieder in die Spur zu bringen, holten die Kölner im Herbst vergangenen Jahres einen Ölriesen an Bord: Saudi Aramco. Für den Einstieg in ein Joint Venture mit Lanxess blätterten die Araber 1,2 Milliarden Euro auf den Tisch.
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Vorstandschef Matthias Zachert hatte nicht nur einen Partner für die durch Überkapazitäten schwer gebeutelte Sparte gefunden. Auf einen Schlag hatte er auch die Wertschöpfungskette bis hin zum Erdöl für jene Produkte verlängert, die vor allem von der Reifen- und Autoindustrie nachgefragt werden.
Von ganz anderer Qualität ist der geplante Zusammenschluss von Dow Chemical und DuPont in den USA. Mit der Verschmelzung der Unternehmen würde der weltweite Branchenprimus BASF vom Thron gestoßen. Ein anderer Milliarden-Deal zeichnete sich in der Agrochemie mit der Übernahme der schweizerischen Syngenta durch ChemChina ab. Die erste Transaktion wird auf ein Volumen von 130 Milliarden US-Dollar (115 Mrd Euro), die zweite auf 43 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Wie in fast keiner anderen Branche wird in der Chemieindustrie derzeit Ausschau gehalten nach Übernahme- und Fusionszielen. «In diesem Jahr wird die Konsolidierungswelle in der Chemieindustrie einen historischen Höhepunkt erreichen», schreiben die Unternehmensberater von A.T. Kearney in einer neuen Studie über Fusionen und Akquisitionen in diesem Wirtschaftszweig.
Im vergangenen Jahr sei der Wert der Transaktionen bereits zum vierten Mal in Folge gestiegen, diesmal um 30 Prozent auf 110 Milliarden US-Dollar. Kommen die beiden Vorhaben Dow Chemical/DuPont und Syngenta/ChemChina zustande, werde sich das Volumen in diesem Jahr verdoppeln, prognostizieren die Autoren der Studie.
Doch aus großen Übernahmen ergeben sich immer wieder Möglichkeiten für andere, weil aus einem Megadeal oft schlanke eigenständige Einheiten entstehen. «Wir müssen mit einer weiteren Spezialisierung der Branche auf bestimmte Marktsegmente, gerade in den Bereichen Spezial- und Petrochemie rechnen», diagnostiziert Volker Fitzner von der Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers die derzeitige Gemengelage.
Ein Paradebeispiel für den Umbau bietet auch der Bayer-Konzern. Vor zehn Jahren hatten sich die Leverkusener von der traditionsreichen Chemie getrennt, die inzwischen Lanxess heißt. Im vergangenen Jahr folgte mit dem Börsengang von Covestro der erste Schritt zur Herauslösung der Kunststoffsparte aus dem ehemaligen Konglomerat. Bayer konzentriert sich künftig ganz auf das ertragreiche Gesundheitsgeschäft und die Agrochemie - und die Börse jubelt. Das Unternehmen gehört inzwischen zu den wertvollsten im Dax.
«Wir schauen uns den Markt an und gehen behutsam und fokussiert vor», sagte Lanxess-Chef Zachert noch am Donnerstag bei der Bilanzvorlage über die Konsolidierung der Branche. Dabei lautet sein Motto: «Klasse statt Masse.» Der Konkurrent Evonik strebt angeblich eine Übernahme bis zur Hauptversammlung im Mai an. Einmal mehr ist die Branche im Fluss und die Zahl von Kaufinteressenten unüberschaubar.
Den scheidenden Bayer-Chef Marijn Dekkers und Präsidenten des Branchenverbandes VCI können die weltweite Fusionsaktivitäten ohnehin nicht überraschen. Diesen Trend zur Fokussierung sehe die Chemieindustrie schon lange, sagte der Manager im vergangenen Dezember. Und dort gebe es nach wie vor Nachholbedarf.