Welche Chemikalien gefährden die Fortpflanzung?

Goethe-Uni entwickelt OECD-Test mit Zwergdeckelschnecke

11.11.2016 - Deutschland

Zulassungsbehörden rund um den Erdball können künftig Hersteller von Chemikalien und Arzneimitteln anweisen, die Fortpflanzungsschädigung ihrer Produkte mithilfe eines Tests zu überprüfen. Nach mehr als 10jähriger Förderung durch das Umweltbundesamt in Dessau mündete das von der Goethe-Universität koordinierte Projekt in eine Richtlinie der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) für die weltweite Chemikalientestung. Der Reproduktionstest prüft die Langzeiteffekte von Chemikalien auf die Vermehrung der Zwergdeckelschnecke Potamopyrgus antipodarum im Labor.

„Zwar handelt es sich bei dem Winzling um keine einheimische Schneckenart, aber als sogenannter Stellvertreterorganismus sind ihre biologischen Antworten auch auf andere Weichtiere übertragbar, ganz gleich, ob sie aus Europa, Asien oder Amerika stammen“, erklärt Prof. Jörg Oehlmann, Koordinator des Testentwicklungsteams und Leiter der Abteilung Aquatische Ökotoxikologie der Goethe-Universität. Potamopyrgus ist ein Wasserbewohner und wurde Mitte des 19. Jahrhunderts mit Schiffen von Neuseeland nach Europa eingeschleppt. Mittlerweile gehört die gebietsfremde Art jedoch zum Alltagsbild in vielen deutschen Fließgewässern.

Neue, noch nicht zugelassene Chemikalien, die die Zwergdeckelschnecke im OECD-Test 242 im Labor schädigen, würden diese Wirkung bei den Tieren und verwandten Arten im Freiland ebenfalls besitzen. Da Weichtiere, nach den Insekten und Krebsen, die artenreichste Gruppe im Tierreich darstellen, wäre ein Ausfall dieser Organismen für die Biodiversität und damit für die Funktionsfähigkeit der Ökosysteme fatal. Die Entwicklung des „Schneckentests“ stellt also einen wichtigen Beitrag für die Gesund- und Reinhaltung unserer Gewässer dar, denn Substanzen, die in diesem Test eine Giftwirkung für die Schnecke anzeigen, können zukünftig vor der Markteinführung identifiziert und reguliert werden.

Zusätzlich wird mit dem neu entwickelten Schneckentest eine bestehende Lücke bei der Umweltrisikobewertung von Chemikalien geschlossen, da die bisherigen standardisierten Tests mit wirbellosen Tieren hauptsächlich die Arthropoden (Insekten und Krebse) umfassten. Schnecken hatten sich in der Vergangenheit jedoch als außergewöhnlich empfindlich gegenüber zahlreichen Schadstoffen erwiesen, darunter Tributylzinnverbindungen und andere Umweltchemikalien, die das Hormonsystem beeinflussen.

Die von der Goethe-Universität Frankfurt koordinierten Arbeiten zur Entwicklung und Standardisierung des Schneckentests umfassten einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren. In einem Forschungsprogramm wurden die Testbedingungen für die Schnecken hinsichtlich der Wasser- und Futterqualität, der Temperatur, Dichte und zahlreicher weiterer Parameter optimiert. In den letzten sechs Jahren wurden abschließend vier Validierungsstudien mit sechs Testsubstanzen in 16 Laboren in Europa und den USA durchgeführt, bei denen sich zeigte, dass das entwickelte Testprotokoll robust ist und der Test reproduzierbare Ergebnisse ergibt, unabhängig davon, in welchem Labor er durchgeführt wird.

Für den Test werden weibliche Zwergdeckelschnecken einer Konzentrationsreihe von Chemikalien im Umgebungswasser ausgesetzt. Die Testorganismen verbleiben 28 Tage zusammen mit der Prüfsubstanz in ihren Testgefäßen. Danach wird bei allen überlebenden Weibchen die Zahl der Nachkommen bestimmt. „Dabei handelt es sich um ein einfach durchzuführendes Verfahren, das auch für den Einsatz in der wasserbehördlichen Praxis geeignet ist“, berichtet Oehlmann.

In ihrer Heimat Neuseeland kommen beide Geschlechter der Zwergdeckelschnecke vor. In Europa bestehen die Populationen aber ausschließlich aus Weibchen, die sich durch „Jungfernzeugung“ vermehren. Das vereinfacht den Gebrauch und die Auswertung des Tests, zumal die kleine Schnecke recht bescheidene Ansprüche an die Haltung im Labor stellt. „Die geringe Größe des Tieres hat noch einen weiteren Vorteil: im Vergleich mit vielen anderen Prüfverfahren ist dieser Test miniaturisierbar und nimmt wenig Platz in Anspruch“, erklärt Oehlmann. Dies erlaubt die Testung einer größeren Zahl von Chemikalien.

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