Chemieunfall in Oberhausen
Säurewolke legt Stadt stundenlang lahm
(dpa) Es war wohl eine simple Verwechslung - Mitarbeiter in einem Chemiebetrieb in Oberhausen haben beim Umladen Salzsäure in einen falschen Tank gepumpt. Doch dieser Fehler versetzt die Stadt im Ruhrgebiet am Donnerstag stundenlang in Aufruhr: Eine Säurewolke zieht über Oberhausen hinweg. Kinder dürfen zunächst nicht aus den Schulen nach Hause, zahlreiche Busse und Bahnen werden gestoppt, die Feuerwehr ist im Großeinsatz. Acht Menschen erleiden leichte Atemwegsreizungen und kommen ins Krankenhaus. Erst nach über sechs Stunden entspannt sich die Lage.
Axel Knauber, der Geschäftsführer des Chemikalienhändlers Hamm Chemie, tritt zerknirscht vor die Presse. Er entschuldigt sich zuerst bei der Bevölkerung für den Zwischenfall. Der Grund für das Chemieunglück sei menschliches Versagen gewesen. Im Hafen des Unternehmens sollte am Morgen ein Salzsäure-Tankschiff seine ätzende Fracht entladen. Die Leitungen werden jedoch falsch angeschlossen und führen nicht in den Salzsäuretank, sondern in den für Schwefelsäure. «Ich sage Ihnen, wie das ist: Sie müssen Super tanken und tanken Diesel», versucht der Manager eine Erklärung.
Doch in einem Chemiebetrieb ist die Wirkung eine ganz andere als an der Tankstelle: Sofort reagieren die hochkonzentrierten Lösungen miteinander. Der 3000 Tonnen fassende Tank, in dem sich etwa 300 bis 400 Tonnen Schwefelsäure befanden, platzt an einer Sollbruchstelle auf, ein Salzsäure-Schwefelsäure-Gemisch bildet eine Wolke - die Säurewolke.
«Es gibt den Spruch: Tust Du Wasser in die Säure, dann geschieht das Ungeheure», erklärt Oliver Nestler vom Verband der Feuerwehren in NRW. Salzsäure besitze einen hohen Wasseranteil. Das Wasser werde in dem Fall schlagartig heiß, es komme zu einer heftigen Reaktion.
In Oberhausen zieht die mehrere hundert Meter große Säurewolke Richtung Nordosten. Polizeifahrzeuge fahren durch die Wohngebiete und rufen die Bevölkerung auf, Fenster und Türen geschlossen zu halten. Kinder müssen in den Schulen und Kindergärten bleiben und dürfen nicht ins Freie. Die umliegenden Krankenhäuser werden verständigt, damit sie auf Verletzte vorbereitet sind. Feuerwehrleute aus den Nachbarstädten und Spezialisten der chemischen Industrie aus Marl und Leverkusen kommen als Verstärkung.
Das Wetter ist so, dass die gefährliche Wolke in Bodennähe bleibt. Doch das hilft der Feuerwehr auch. Die Strategie: «Mit erheblichen Wassermengen die Wolke niederschlagen», sagt Feuerwehrleiter Gerd Auschrat. 8000 Liter Wasser pro Minute spritzen Wasserwerfer in der Nähe des Tanks auf den Dampf, um die Konzentration zu verringern. Mit Erfolg. Am frühen Nachmittag tritt kein neuer Dampf mehr aus, die umfangreichen Sperrungen in der Stadt können wieder aufgehoben werden.
Wie gefährlich die Säurewolke nun tatsächlich war, blieb am Donnerstag offen. «Das ist schwer zu beurteilen», sagt Feuerwehrchef Auschrat. Die Messfahrzeuge hätten nichts nachweisen können. Die Feuerwehr geht davon aus, dass sich die Schadstoffe verflüchtigt haben. Es werde aber trotzdem weiter gemessen. Auch Markus Werntgen-Orman vom Umweltamt sagt: «Es gibt keine Hinweise für eine Gefahr von Umwelt und Natur.»
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