Forscher wandeln wässriges Gel zu glasartigem Material
Bei der Entwicklung des Biomaterials haben sich Prof. Jörg Tiller und Doktorand Nicolas Rauner von der Natur inspirieren lassen – genauer gesagt, von der Biomineralisation, einem der faszinierendsten biochemischen Prozesse. Biomineralien kommen in Zähnen und Knochen, in Schneckenhäusern, Muschelschalen und Krabbenpanzern oder in Kieselalgen vor. Ihre extrem feinen Strukturen, ihr ausgefeilter Aufbau und ihre besonderen Eigenschaften beschäftigen Forscherinnen und Forscher seit Langem – und liefern immer wieder Ansatzpunkte für die Entwicklung künstlicher Werkstoffe.
Ein solcher künstlicher Werkstoff ist das „Hydrogel“, das Prof. Jörg Tiller und Nicolas Rauner entwickelt haben und jetzt in der Fachzeitschrift Nature beschreiben. Was kann ihr Hydrogel, was andere nicht können? Ein Hydrogel ist zunächst einmal ein in Wasser gequollenes polymeres Netzwerk, also ein Material, das eigentlich fast nur aus Wasser besteht. Ein aus dem Alltag bekanntes Hydrogel ist die Götterspeise. Nun ist die Götterspeise nicht umsonst auch als „Wackelpudding“ bekannt: Denn sie ist weder steif noch zäh, mit dem Löffel kann man sie leicht abtrennen. Steif ist ein Material, das sich schwer verbiegen lässt, und zäh, wenn man es stark verbiegen kann, bevor es zerbricht.
Hier setzt die Forschung von Tiller und Rauner an: Ihr Ziel war es, ein künstliches Hydrogel zu entwickeln, das ultrasteif und zugleich sehr zäh ist. Steife Hydrogele gibt es bisher nicht. Durch eine besondere Nanostruktur haben die Forscher es jetzt geschafft, aus einem „Wackelpudding“ ein glasartiges Material zu machen, das hauptsächlich aus Wasser besteht, sich nur mit Kraft verbiegen lässt und dabei noch stark dehnbar ist. So kann es großem Druck standhalten, ohne zu brechen.
Dass das neue Hydrogel diese beiden wertvollen Eigenschaften vereint, liegt an seiner besonderen Struktur, die durch Biomineralisation erzielt wird: Enzyme, sogenannte Phosphatasen, liegen extrem fein verteilt im Material vor. Sie sind die Katalysatoren, die den Strukturbildungsprozess auslösen, bei dem die Mineralisation direkt im Material geschieht. So entsteht eine feste und wohlgeordnete Calciumphosphat-Nanostruktur, die ein stabiles Netzwerk bildet und für die besonderen Eigenschaften verantwortlich ist. Die aufwendige Aufklärung der Strukturen gelang dabei Monika Meuris, Expertin für Elektronenmikroskopie am Zentrum für Elektronenmikroskopie und Materialforschung (ZEMM) der TU Dortmund. In Zukunft wollen die Forscher diese neue Art der Materialherstellung für den Nachbau natürlicher Verbundmaterialien wie Muscheln oder Knochen nutzen.
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