Die Jagd auf dunkle Materie beginnt
Cern-Teilchenbeschleuniger läuft wieder an
(dpa) Die mächtigen Magnete der Experimente sind 100 Meter unter der Erde schon wieder in Betrieb. In riesigen Metallzylindern und -gehäusen sind tausende der filigransten Messgeräte gewartet und auf den neusten Stand gebracht worden. Hier beginnt in Kürze die Jagd auf eines der größten Rätsel der Physik: die Dunkle Materie.
Wie alle, die zum weltgrößten Teilchenbeschleuniger der Europäischen Organisation für Kernforschung (Cern), dem Large Hadron Collider (LHC), in die Tiefe hinabsteigen, hat Karl Jakobs ein Dosimeter zur Messung radioaktiver Strahlung dabei. Der Freiburger Physiker leitet eines der beiden Experimente, die suchen, was niemand je gefunden hat. «Wir sind an der vordersten Grenze der Technologie», sagt Jakobs im Aufzug in die Tiefe.
Der Teilchenbeschleuniger ist seit 2009 in Betrieb. Hier wird Grundlagenforschung über den Aufbau von Materie betrieben. 2012 kam seine bisherige Sternstunde: die Physiker konnten das Higgs-Teilchen nachweisen, das eine uralte Frage löste, nämlich wie die kleinsten Bausteine des Universums ihre Massen bekommen. Die Theorie stammte aus dem Jahr 1964, konnte aber bis dahin nie bewiesen werden. Jakobs war dabei, und er wurde für seinen Beitrag zu der «epochalen Entdeckung» 2015 mit dem höchsten deutschen Preis für experimentelle Physik, die Stern-Gerlach-Medaille, ausgezeichnet.
Der Teilchenbeschleuniger ist das größte wissenschaftliche Instrument der Welt und steht im Guinness-Buch der Rekorde. Er befindet sich in einem knapp 27 Kilometern langen kreisförmigen Tunnel. Rennbahn, sagt Jakobs, weil die Protonen fast mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs sind. Bei mehr als 11.000 Umläufen pro Sekunde bringen elektromagnetische Wellen und Magnetfelder sie auf Kollisionskurs.
«Wir wollen sehen, was in der ein milliardstel Sekunde nach dem Urknall passiert ist», sagt Jakobs. Er schreit es fast, denn die Kühlsysteme der Magneten machen einen Höllenlärm. Wie Gulliver in Brobdingnag in Jonathan Swifts Klassiker «Gullivers Reisen» wirken die Arbeiter, die in diesem gigantischen Tunnelstück letzte Hand an Jakobs' Atlas-Experiment anlegen: Sie sind im Vergleich zu der 24 mal 45 Meter großen Maschine winzig.
Die eigentliche Röhre, durch die demnächst die Teilchen schießen, hat einen Durchmesser von knapp vier Metern. Die Protonen kommen aus einer 10-Liter-Wasserstoffflasche. Sie werden in eine Vakuumröhre geschossen und mit Hilfe von elektrischen Feldern und Magneten auf Touren gebracht. Zig Milliarden davon, die Hälfte im Uhrzeigersinn, die andere Hälfte in entgegengesetzter Richtung.
Die Physiker interessiert nur der Bruchteil der Sekunde, an dem die Protonen kollidieren. Entsteht dabei die dunkle Materie, nach der sie suchen? Erklärt das, woraus der Großteil des Universums besteht, der sich nicht aus den bislang vertrauten Bausteinen zusammensetzt?
Auf die Frage «Wozu das alles?» , antwortet Jakobs mit dem britischen Naturforscher Michael Faraday (1791-1867). Der soll auf die Frage seines Finanzministers, wozu Elektrizität überhaupt gut sei, gesagt haben: «Zum Beispiel, weil sie vielleicht eines Tages Steuern darauf erheben können.»
Jakobs verweist auf die Errungenschaften der physikalischen Forschung: Ohne die Arbeiten von Faraday und seinen Kollegen im 19. Jahrhundert sei die heutige Welt nicht denkbar. Die elektromagnetische Wechselwirkung dominiere das Alltagsleben, über Handys, Transistoren und vieles mehr. Nachweisdetektoren, die Physiker für ihre Experimente am Cern gebaut hätten, würden heute in der Medizin verwendet.
Jakobs hofft, dass die dunkle Materie entdeckt wird. Nicht, in dem Moment, wo sie entsteht. Vielmehr werden Millionen Messdaten erstmal gesammelt und monatelang aufbereitet, ehe Physiker am Computer Zugang bekommen. «Wir wissen, wie sich die Signatur von dunkler Materie zeigen würde», sagt Jakobs. Bei solchen Entdeckungen reißt es die sonst so kühlen Wissenschaftler durchaus aus den Stühlen, wie Jakobs in Erinnerung an den Moment des Higgs-Nachweises sagt: «Da springt man schon mal auf am Computer.»
Strahlung entsteht nicht, sagt Jakobs. Einzig geladene Myonen könnten nach außen kommen, wenn der Beschleuniger in Betrieb ist. Sie könnten den menschlichen Körper mit ihrer ionisierenden Strahlung schädigen. Deshalb darf niemand in die Tiefe, wenn der Beschleuniger läuft. Zur Sicherheit wird aber bei jedem Besuch gemessen. Wie erwartet zeigt das Dosimeter: «00,00» Mikrosievert an - keine Strahlung.