Durchbruch für die Spintronik

04.07.2017 - Deutschland

Es ist ultradünn, am Rand elektrisch leitend und im Inneren hochgradig isolierend – und das auch bei Raumtemperatur: Physiker der Universität Würzburg haben ein neues Material entwickelt, das viel verspricht.

Maximilian Bauernfeind

Schematische Darstellung der leitfähigen Randkanäle an den Begrenzungen der Bismuten-Schicht. Die Randkanäle schützen die Spins gegen Streuung.

Felix Reis

Ansicht des Bismuten-Films in Rastertunnel-Mikroskopie. Man erkennt die Wabenstruktur des Materials (blau). Am Rand bildet sich ein leitfähiger Randkanal (weiß) aus.

Maximilian Bauernfeind
Felix Reis

Die Materialklasse der topologischen Isolatoren steht derzeit im Mittelpunkt der internationalen Festkörperforschung. Diese Stoffe sind im Inneren elektrisch isolierend, weil die Elektronen stark an die Atome gebunden bleiben. An ihrer Oberfläche jedoch hat die Natur sie aufgrund von Quanteneffekten mit einer leitfähigen Hülle versehen.

Und mehr noch: Die eingebaute Kompassnadel des Elektrons, der „Spin“, dessen Ausrichtung sehr effizient Informationen übertragen kann, ist bei der Bewegung durch diese Oberflächenkanäle gegen Ablenkung geschützt. Mit diesen Eigenschaften könnten topologische Isolatoren einen alten Traum Wirklichkeit werden lassen: eine direkt auf dem Spin basierende Datenverarbeitung – die sogenannte Spintronik.

Bisherige Konzepte funktionieren nur im Kühlschrank

Bisher gab es jedoch ein großes Hindernis bei der technischen Nutzung solcher Oberflächenkanäle: „Mit zunehmender Temperatur eines topologischen Isolators werden alle Quanteneffekte ausgewaschen und damit auch die besonderen Eigenschaften der elektrisch leitenden Ränder“, erklärt Privatdozent Dr. Jörg Schäfer vom Lehrstuhl für Experimentelle Physik 4 der Universität Würzburg.

Aus diesem Grund müssen alle bisher bekannten topologischen Isolatoren auf sehr tiefe Temperaturen – meist bis zu minus 270 Grad Celsius – gekühlt werden, um die Quanteneigenschaften der Randkanäle studieren zu können. „Mögliche Anwendungen, beispielsweise für ultraschnelle Elektronik oder in einem Quantencomputer, sind unter solchen Bedingungen natürlich nicht besonders praktikabel“, so der Physiker.

Ein Team aus Würzburger Physikern hat nun ein völlig neuartiges Konzept vorgestellt, um dieses Problem elegant zu umgehen. Daran beteiligt waren die Experimentalphysiker aus dem Lehrstuhl für Experimentelle Physik IV, Professor Ralph Claessen und Privatdozent Dr. Jörg Schäfer, sowie die Theoretiker vom Lehrstuhl für Theoretische Physik I, Professor Ronny Thomale, Professor Werner Hanke und Dr. Gang Li.

Gezieltes Materialdesign

Eine spezielle Materialkombination ist die Basis des Würzburger Durchbruchs: eine ultradünne Schicht aus einer einzigen Lage von Bismut-Atomen, die auf einer Unterlage aus Siliziumkarbid aufgebracht wird.

Was macht diese Kombination so besonders? „Die kristalline Struktur des Siliziumkarbid-Trägers führt bei der Abscheidung des Bismut-Films zu einer wabenförmigen Anordnung der Bismut-Atome –sehr ähnlich der Struktur des Wundermaterials Graphen, das aus Kohlenstoffatomen aufgebaut ist“, erklärt Professor Ralph Claessen. Wegen dieser Analogie wird der ultradünne Film als „Bismuten“ bezeichnet.

Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied zum Graphen: „Bismuten bildet eine chemische Bindung an die Unterlage aus“, erläutert Professor Ronny Thomale. Diese spiele allerdings eine zentrale Rolle in dem neuen Konzept, damit das Material die gewünschten elektronischen Eigenschaften besitzt. Eine computergestützte Modellierung zeige dies sehr deutlich: „Während herkömmliches Bismut ein elektrisch leitfähiges Metall ist, bleibt die wabenartige Monolage ein ausgeprägter Isolator, und das selbst bei Raumtemperatur und weit darüber“, so der Physiker. Nur durch die ausgeklügelte Kombination der schweren Bismut-Atome mit dem ebenfalls isolierenden Siliziumkarbid-Substrat gelinge es, diese so dringend erwünschte Ausgangssituation künstlich zu erzeugen.

Elektronenautobahn in Randlage

Die elektronischen Leitungspfade kommen am Rand eines Bismuten-Stückchens ins Spiel. Dort befinden sich die metallischen Randkanäle, die bei der Datenverarbeitung der Zukunft genutzt werden sollen. Das haben nicht nur die theoretischen Überlegungen des Würzburger Forschungsteams ergeben; mithilfe mikroskopischer Techniken konnten die Physiker den Zustand auch experimentell eindeutig nachweisen.

Für die Nutzbarkeit der Randkanäle in elektronischen Bauelementen ist es allerdings wesentlich, dass es keinen Kurzschluss durch das Innere des topologischen Materials oder durch das Substrat gibt. „In bisherigen topologischen Isolatoren musste dies mithilfe der extremen Kühlung sichergestellt werden“, erklärt Jörg Schäfer. Mit dem neuen Bismuten-Konzept sei dieser Aufwand jedoch nicht mehr erforderlich: Wegen des ausgeprägten Isolatorverhaltens der Schicht und der Unterlage seien keine störenden Kurzschlüsse mehr möglich.

Nach Ansicht der Würzburger Wissenschaftler macht insbesondere dieser Sprung hin zur Funktionsfähigkeit bei Raumtemperatur die Entdeckung für potentielle Anwendungen unter realistischen Bedingungen interessant. „Derartige Leitungskanäle sind ‚topologisch geschützt‘, das heißt, mit ihnen kann man nahezu verlustfrei Informationen übertragen“, erklärt Ralph Claessen. Da auf diese Weise eine Datenübermittlung mit wenigen Elektronenspins – die Spintronik – vorstellbar wird, erhofft sich das Würzburger Team große Fortschritte für eine effizientere Informationstechnologie.

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