Organokatalyse - altes Synthesekonzept neu entdeckt

02.05.2007

Chemiker in akademischen und industriellen Forschungslaboren müssen sich bei der Suche nach neuen Wirkstoffen immer komplexer werdenden Anforderungen stellen. Dabei gilt ihr besonderes Interesse Molekülen mit einem oder mehreren asymmetrischen Zentren. Auf klassischem Syntheseweg ist es jedoch schwierig, reine chirale Molekül zu synthetisieren. Um keine racemischen Gemische verschiedener Enantiomere zu erhalten, wenden Chemiker jetzt gezielt eine lange in Vergessenheit geratene asymmetrische Synthesemethode an - die enantioselektive Organokatalyse.

Welches Potential die Organokatalyse bei der Entwicklung neuer Synthesen sowie bei der Aufklärung von Reaktionsmechanismen hat, diskutierten Experten aus den USA, Großbritannien, Deutschland und Italien auf dem Wissenschaftlichen Symposium der Schering Stiftung "Organocatalysis", das vom 18. bis 20. April 2007 in Berlin stattfand.

Erste von einfachen organischen Molekülen katalysierte asymmetrische Synthesen wurden bereits im letzten Jahrhundert beschrieben. So entdeckten Anfang der siebziger Jahre zwei Forschergruppen unabhängig voneinander eine neuartige asymmetrische Synthese von Steroidteilstrukturen, die durch die Aminosäure L-Prolin katalysiert wurde. Eine dieser Gruppen arbeitete in den Forschungslaboratorien der Berliner Schering AG. Ihr Pionierbeitrag ging letztlich nach seinen Entdeckern benannt als Hajos-Parrish-Eder-Sauer- Wiechert-Reaktion in die Annalen der Chemie ein. Aber erst etwa dreißig Jahre später sollte sich das von ihnen angestoßene Forschungsgebiet der Organokatalyse rasant entwickeln.

"Uns war damals gar nicht bewusst, wie wegweisend unsere Arbeit für die enantioselektive Organokatalyse sein würde", sagte Dr. Ulrich Eder auf dem Symposium, der wie seine beiden damaligen Mitstreiter, Dr. Gerhard Sauer und Prof. Rudolf Wiechert, Ehrengast war. "Der Zeitgeist war damals einfach ein anderer und mit Übergangsmetallen oder Enzymen katalysierte Synthesen lagen mehr im Trend."

In seinem Eröffnungsvortrag gab Prof. Benjamin List vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, Mülheim, einen Überblick über das breite Spektrum von enantioselektiven, organokatalysierten Reaktionen und stellte neueste Forschungsergebnisse und Strategien wie z.B. das Konzept der Asymmetric Counteranion-directed Catalysis vor. "Warum wir organische Chemiker bisher bevorzugt Katalysatoren verwendet haben, die nicht aus unserer Disziplin kommen, ist mir bis heute ein Rätsel und das, obwohl uns Amine oder Ketone doch so vertraut sind", resümierte List. "Ihre einfache Handhabung sowie die gute und kostengünstige Verfügbarkeit machen Organokatalysatoren gegenüber biologischen Katalysatoren wie Enzymen oder anorganischen Übergangsmetallkatalysatoren sehr attraktiv. Es sieht so aus, als ob die Organokatalysatoren die asymmetrische Synthese revolutionieren."

Organokatalysatoren sind niedermolekulare, rein organische Katalysatoren, die einfach zu synthetisieren, preiswert, stabil und oft ungiftig sind. Sie ermöglichen Reaktionen in wässriger Lösung, bei Raumtemperatur und in normaler Atmosphäre, sind hochselektiv und effizient. In Kaskadenreaktionen können mit einfachen Organokatalysatoren gleich mehrere Stereozentren aufgebaut werden. Sie sind daher nicht nur für Synthesen im Labor sondern auch für einen Einsatz im industriellen Maßstab in der Naturstoffchemie, bei der Wirkstoffentwicklung, in Mehr-Stufen-Reaktionen aber auch für Mehrkomponenten-Domino-Reaktionen interessant.

Prof. Yian Shi von der Colorado State University, Colorado, USA, berichtete über die erste industrielle Anwendung der von ihm entwickelten asymmetrischen Epoxidationsmethode zur Synthese eines chiralen Lactons sowie neue Organokatalysatoren für die "Shi-Epoxidation". Bei dieser Reaktion werden Epoxide mit hohem Enantiomerenüberschuss aus transdisubstituierten oder trisubstituierten Alkenen synthetisiert. Shi und sein Team konnten zeigen, dass der neue von Fruktose abgeleitete Organokatalysator D-Epoxon ein hohes Katalysepotential besitzt. Erste Ergebnisse für die Anwendung seiner Methode im industriellen Maßstab weisen einen hohen Enantiomerenüberschuss (ee=88%) bei guter Ausbeute und hoher chemischer Reinheit des Reaktionsproduktes auf.

Welche der enantioselektiven Organokatalysen bereits den Sprung vom akademischen Forschungslabor in die Industrie geschafft haben, war Thema des Beitrages von Prof. Harald Gröger vom Institut für Organische Chemie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Firmen wie F. Hofmann-La Roche AG, Merck, Nagase, Rhodia ChiRex, Firmenich, Bayer AG, Degussa AG und DSM erproben bzw. nutzen enantioselektive Organokatalysen bereits in größerem Maßstab. Am Beispiel einer Alkylierungsreaktion konnte er zeigen, dass sich durch Einsatz von Organokatalysatoren z.B. die Prozesskosten erheblich senken lassen. "Interessant ist, dass zunehmend von industriellen Gruppen neue organokatalytische Synthesen entwickelt werden", so Gröger. "Das lässt erwarten, dass wir zukünftig einen noch größeren Anteil neuer Synthesen aus diesem Forschungsgebiet in der industriellen Anwendung sehen werden." Für die akademische Grundlagenforschung wünscht sich Gröger, der vor seiner Arbeit als Universitätsprofessor umfangreiche Industrieerfahrungen sammeln konnte, so früh wie möglich gemeinsame Entwicklungsprojekte mit industriellen Partnern. "Einen allgemein gültigen Zeitplan, bis wohin der akademische Part gehen und wann die Industrie einsteigen sollte, wird es nicht geben," so Gröger. "Wichtig ist eine regelmäßige Prüfung des Projektverlaufs an definierten Kriterien."

Ein auf dem Gebiet der enantioselektiven Organokatalyse eher randständiges Gebiet erforscht Prof. Thorsten Bach von der Technischen Universität München. Er und sein Team waren die Ersten, die über eine radikalische enantioselektive Organokatalyse berichteten. Bach untersucht derzeit, wie die Anwesenheit chiraler Einheiten den Enantiomerenüberschuss bei Photoreaktionen beeinflusst. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Forschung ist die Immobilisierung von Organokatalysatoren, um die bisher hohen Katalysatormengen zu reduzieren. "Ziel ist, kontinuierlich im Durchflussphotoreaktor mit immobilisiertem Katalysator zu arbeiten", so Bach. In seinem Vortrag ging er der Frage nach, inwieweit sich das Prinzip der organokatalytischen Photoreaktion auf die Synthese komplexer Moleküle wie z. B. das pentacyclische Melodinus-Alkaloid (+)-Meloscin übertragen lässt. Während die klassische Synthese in einer 26-Stufen-Reaktion lediglich zum Racemat (+/-)-Meloscin in geringer Ausbeute führt, will er mit einem enantioselektiven, organokatalytischen Schritt zu Beginn der Synthese versuchen, den Reaktionsweg zu verkürzen und nur das natürlich vorkommende Enantiomer (+)-Meloscin herzustellen.

Prof. Varinder K. Aggarwal von der University of Bristol, Großbritannien, entwickelte zusammen mit seinem Kollegen, Professor Kevin Booker-Milburn, einen singlepass-Durchflussphotoreaktor zur Synthese von bicyclischen, chiralen Sulfiden in größerem Maßstab. Diese chiralen Sulfide werden als Organokatalysatoren bei der Synthese von komplexen chiralen Zielstrukturen via Schwefel-Ylid-Methode oder auch via Morita-Baylis-Hillmann-Reaktion eingesetzt. Aggarwals Interesse gilt neben der Entwicklung neuer Synthesen vor allem den mechanistischen Aspekten der Organokatalyse.

Dr. Maurizio Benaglia von der University of Milano, Italien, und Prof. Scott J. Miller vom Boston College, Massachusetts, USA beleuchteten eine weitere Facette des vielfältigen Forschungsfeldes - die Organokatalyse mit Makromolekülen. Währende Benaglias die Organokatalyse an einer Polethylenglycol-Matrix erforscht, untersucht Miller das Potential von Peptidkatalysatoren für die selektiven Synthese komplexer Moleküle.

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