Schöne neue (Labor-)Welt
In Forschung und Entwicklung, aber auch für Mikroproduktionen sind Labore immer noch die zentrale Arbeitsumgebung von Biologen und Chemikern. In biochemischen Experimenten werden komplexe Prozessabläufe mit zahlreichen manuellen Arbeitsschritten ausgeführt, die nur zum Teil von Geräten unterstützt werden. Hinzu kommt, dass ganze Experimente oft nur einmal ausgeführt werden, sodass der Experimentator ständig auf Änderungen achten muss. Experimente mögen sich ähneln, aber die Parameter unterscheiden sich naturgemäß fast immer. Ein Beispiel: Zum Nachweis eines einzigen Proteins im Blut werden Antikörper in vielfach unterschiedlicher Konzentration mit der zu untersuchenden Substanz pipettiert, mitunter mehrere hundert Male pro Substanz. Neben dieser Sisyphosarbeit verbringen Labormitarbeiter einen Großteil ihrer Zeit mit anderen Tätigkeiten, wie etwa der Planung, der Bereitstellung von Geräten, dem Holen und Bringen von Proben oder Reagenzien und nicht zuletzt der Dokumentation und Auswertung des Experiments. In Gesprächen wird gelegentlich der Aufwand für die Dokumentation mit bis zu 70 Prozent der Arbeitszeit angegeben - trotz des Einsatzes von Laborinformations- und -Management-Systemen (LIMS). - Nur auf den ersten Blick ist das ein Fall für die Automatisierung. - Dabei steht als Ziel nicht nur die effiziente Gestaltung der Arbeitsabläufe im Raum, sondern eher die Reproduzierbarkeit und die exakte Dokumentation der Prozesse. Die Intuition des Experimentators kann durch Automaten ebenso wenig ersetzt werden wie seine Flexibilität. Eine vollständige Laborautomatisierung, wie bei Hochdurchsatz- Screeningsystemen, kommt nur bei häufig durchgeführten, ständig wiederkehrenden Prozessen als Alternative in Frage. Hier gilt: menschliche Experimentatoren werden auch auf längere Sicht nicht zu ersetzen sein. Aber wie lassen sich die Fähigkeiten des Experimentators durch technische Assistenten wirkungsvoll ergänzen?
Bereits seit einigen Jahren befasst sich die Abteilung Produktions- und Prozessautomatisierung am Fraunhofer IPA mit Konzepten für die Verknüpfung von manuellen Arbeitsplätzen mit Laborautomatisierungslösungen. Eine unmittelbare Verknüpfung von Mensch und Maschine, beispielsweise eines Roboters am Laborarbeitsplatz, hat sich wegen des Programmierungsaufwands und der Sicherheitsbedenken bisher nicht bewährt. Daher wurde in der Abteilung ein hybrides Laborkonzept verfolgt, welches eine logistische Verbindung zwischen dem Automaten und dem manuellen Arbeitsplatz an Stelle einer Fusion vorsieht und den Experimentator gezielt mit Hilfe der Informationstechnologie unterstützt.
Im Projekt "Tischlein, deck dich!" wird ein halbautonomes Transportsystem entwickelt, das Reagenzien und Proben zwischen manuellen und automatisierten Arbeitsbereichen im Labor transportiert und die Mitarbeiter somit von lästigen Botengängen entlastet. Das Transportsystem besteht aus einer unbegrenzten Zahl an kleinen Tischrobotern, die sich auf "Straßen" zwischen den Stationen bewegen. Als "Straßen" reichen ebene Flächen zwischen den Stationen ("Fensterbänke "), auf denen farbliche Bahnmarkierungen für die Navigation einfach aufgeklebt oder aufgedruckt werden. Auf diese Weise lässt sich das System kostengünstig in eine bestehende Laborumgebung integrieren und jede Station im Labor erreichen. Der Vorteil dieses Systems für Experimentatoren ist deutlich: Weder müssen sie sich auf die Suche begeben noch Botengänge absolvieren und können sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren.
Ein solches Transportsystem erfordert die Einbindung des Experimentators in die Informationsströme. Bereits vor einigen Jahren wurde am Fraunhofer IPA ein hybrider Laborarbeitsplatz entwickelt, mit dem manuelle Handhabungen durch eine Verfolgung der Laborgeräte und Gefäße ("Tracking") automatisch angeleitet, dokumentiert und überwacht werden konnten. Die Anweisungen wurden dabei auf die Arbeitsfläche projiziert. Im Moment wird die nächste Generation des "Hybriden Arbeitsplatzes" entwickelt, bei der großformatige Flachbildschirme unter die gläserne Arbeitsfläche montiert werden. Experimentatoren bekommen alle Informationen des LIMS über Aufträge, Rezepte und Arbeits(fort)schritte dort angezeigt, wo sie bearbeitet werden müssen. Zusätzlich können auf Knopfdruck alle fehlenden Substanzen und Proben bestellt werden, die genau auf der gewünschten Stelle am Arbeitsplatz vom Tischtransporter bereitgestellt werden - eben wie im Grimmschen Märchen vom "Tischlein, deck dich!". Schließlich können Automaten eingebunden werden, indem Proben zur Weiterverarbeitung dorthin transportiert werden, verarbeitet und nach Abschluss entweder gelagert oder wieder auf dem Labortisch bereitgestellt werden können. Und dabei kommen sich Mensch und Automat auch nicht mehr in die Quere.
Der "Hybride Arbeitsplatz" und das Tischtransportsystem sind heute zwar noch eine Vision der zukünftigen Gestalt von Laboratorien. Ihr Nutzen ist jedoch klar: Anwender könnten Produkte, z. B. Medikamente, trotz manueller Prozesse schneller auf den Markt bringen.
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