Nanoteilchen: Chemie mit komplexem Rhythmus
Komplizierter als gedacht laufen chemische Reaktionen an der Oberfläche von Nanoteilchen ab, die man als Katalysatoren verwendet
Technische Universität Wien
Diese Unterschiede blieben bisher in der Katalyseforschung oft unberücksichtigt, weil es sehr schwierig ist, gleichzeitig Information über die chemische Reaktion selbst und über die Geometrie der Oberfläche zu ermitteln. An der TU Wien ist das nun gelungen, indem man verschiedene mikroskopische Verfahren kombinierte: Mit Hilfe von Feldelektronen- und Feldionenmikroskopie konnte man die Oxidation von Wasserstoff auf einem einzelnen Rhodium-Nanoteilchen in Echtzeit in Nanometer-Auflösung abbilden. Dabei zeigten sich überraschende Effekte, die man in Zukunft bei der Suche nach besseren Katalysatoren berücksichtigen muss.
Der Rhythmus chemischer Reaktionen
„Bei bestimmten chemischen Reaktionen kann ein Katalysator zwischen einem aktiven und einem inaktiven Zustand hin und her wechseln“, sagt Prof. Günther Rupprechter vom Institut für Materialchemie der TU Wien. „Es kann zu chemischen Oszillationen zwischen den beiden Zuständen kommen, die sich selbst aufrechterhalten – dafür erhielt der Chemiker Gerhard Ertl im Jahr 2007 den Nobelpreis für Chemie.“
Das ist auch bei Rhodium-Nanoteilchen der Fall, die als Katalysator für die Wasserstoffoxidation eingesetzt werden – die Grundlage jeder Brennstoffzelle. Unter bestimmten Bedingungen können die Nanoteilchen während der Reaktion zwischen einem Zustand, in dem an der Oberfläche des Teilchens Sauerstoffmoleküle aufgespalten werden, und einem Zustand, in dem Wasserstoff gebunden wird, oszillieren.
Eingelagerter Sauerstoff verändert das Oberflächenverhalten
„Wenn man ein Rhodium-Teilchen einer Atmosphäre aus Sauerstoff und Wasserstoff aussetzt, werden zunächst die Sauerstoffmoleküle an der Rhodium-Oberfläche in einzelne Atome aufgespalten. Diese Sauerstoffatome können dann unter die oberste Rhodium-Schicht wandern und sich dort anlagern“, erklärt Prof. Yuri Suchorski, der Erstautor der Studie.
Durch die Wechselwirkung mit Wasserstoff können diese eingelagerten Sauerstoffatome dann wieder herausgeholt werden und sich mit Wasserstoff verbinden. Dann ist im Inneren des Rhodium-Partikels wieder Platz für weitere Sauerstoffatome und der Kreislauf beginnt von vorne. „Dieser Rückkopplungsmechanismus steuert die Frequenz der Oszillation“, sagt Yuri Suchorski.
Bisher dachte man, dass diese chemischen Oszillationen immer auf dem gesamten Nanoteilchen synchron im gleichen Rhythmus stattfinden. Schließlich sind die chemischen Vorgänge auf den unterschiedlichen Facetten der Nanoteilchen-Oberfläche eng miteinander gekoppelt, weil die Wasserstoff-Atome von einer Facette zur benachbarten Facette wandern können.
Die Ergebnisse der Forschungsgruppe von Prof. Günther Rupprechter und Prof. Yuri Suchorski zeigen allerdings, dass die Sache in Wirklichkeit viel komplexer ist: Unter bestimmten Bedingungen versagt die räumliche Kopplung, und benachbarte Facetten oszillieren plötzlich mit deutlich unterschiedlichen Frequenzen – und in manche Regionen des Nanopartikels dringen diese oszillierenden „chemischen Wellen“ überhaupt nicht vor.
„Das lässt sich auf atomarer Skala erklären“, sagt Yuri Suchorski. „Unter dem Einfluss von Sauerstoff können sich aus einer glatten Rhodium-Oberfläche hervorstehende Reihen von Atomen herausbilden.“ Diese Atomreihen können dann als eine Art „Wellenbrecher“ dafür sorgen, dass Wasserstoff-Atome nicht mehr so leicht von einer Facette zur anderen überwechseln können – die Facetten werden entkoppelt.
Wenn das der Fall ist, können die einzelnen Facetten unterschiedlich schnelle Oszillationen ausbilden. „Auf unterschiedlichen Facetten sind die Rhodium-Atome an der Oberfläche unterschiedlich angeordnet“, sagt Günther Rupprechter. „Deshalb läuft auch die Einlagerung des Sauerstoffs ins Innere des Rhodium-Partikels unterschiedlich schnell ab, und so ergeben sich auf kristallographisch unterschiedlichen Facetten Oszillationen mit unterschiedlichen Frequenzen.“
Eine Halbkugelspitze als Nanopartikel-Modell
Der Schüssel zum Enträtseln dieses komplexen chemischen Verhaltens lag in der Verwendung einer feinen Rhodiumspitze als Modell für ein Nanoteilchen, wie man es typischerweise in der Katalyse verwendet. Ein elektrisches Feld wird angelegt, aufgrund des quantenmechanischen Tunneleffekts können Elektronen die Spitze verlassen. Diese Elektronen werden im elektrischen Feld beschleunigt und treffen auf einen Bildschirm, wo dann ein Projektionsbild der Spitze mit einer Auflösung von rund 2 Nanometern entsteht.
Im Gegensatz zu Rastermikroskopien, bei denen die Oberfläche nach und nach abgetastet wird, entsteht so eine Aufnahme aller Oberflächenatome zur gleichen Zeit – anders wäre es nicht möglich, die Synchronization und Desynchronization der Oszillationen zu entschlüsseln.
Die neuen Erkenntnisse über das Zusammenspiel einzelner Facetten eines Nanoteilchens können nun zu effektiveren Katalysatoren führen und ermöglichen tiefe atomare Einblicke in Mechanismen der nicht-linearen Reaktionskinetik, Musterbildung und räumlichen Kopplung.