Bessere Solarzellen durch Weltraumexperimente
© Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. / Dr. Otfried Joop
Bei der industriellen Produktion von multikristallinen Siliziumblöcken für die Photovoltaik spielen Partikel in Form von Siliziumkarbid (SiC) eine große Rolle. Diese sind aufgrund ihrer gegenüber Silizium größeren Härte problematisch für die anschließende mechanische Bearbeitung. Zudem können sie in Solarzellen zu Kurzschlussströmen führen und damit den Wirkungsgrad verschlechtern. Der Einbau dieser Partikel in den Siliziumkristall muss deshalb vermieden werden. Die SiC-Partikel entstehen normalerweise während der Kristallisation in Folge eines Eintrages von Kohlenstoff über die Gasatmosphäre in die Siliziumschmelze beim Überschreiten der Löslichkeitsgrenze. Die Partikel schwimmen in der 1400 °C heißen Schmelze, bewegen sich mit der Schmelzkonvektion durch das Schmelzvolumen und können schließlich in den Festkörper eingebaut werden.
Verschiedene theoretische Arbeiten sagen vorher, dass der Einbau der Partikel von der Geschwindigkeit abhängt, mit der der Kristall erstarrt. Ist die Wachstumsgeschwindigkeit kleiner als ein kritischer Wert, sollten die Partikel theoretisch vor der fest-flüssig Phasengrenze hergeschoben werden. Wird der kritische Wert überschritten, werden sie von der sich bewegenden Phasengrenze eingefangen und in den Kristall eingebaut. Wendet man diese für metallische Legierungen anerkannten Theorien auf Siliziumkristalle an, die im Labor auf der Erde gezüchtet werden, dürften diese eigentlich nie die nur wenige Mikrometer großen SiC-Partikel enthalten, da die Wachstumsrate des Kristalls so klein ist, dass die Partikel immer vor der Phasengrenze hergeschoben werden müssten. Dies widerspricht aber voll und ganz den experimentellen Beobachtungen und der Realität in den industriellen Prozessen.
Hier kommt nun die Schwerelosigkeit ins Spiel. Die Schwerkraft hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Strömung in der Siliziumschmelze, die ihrerseits wiederum die Verteilung der Partikel im Schmelzvolumen bestimmt. Die Schwerkraft wirkt auch direkt auf die Partikel und lässt sie beispielsweise absinken, wenn die Partikel eine höhere Dichte besitzen als die Schmelze, was bei den SiC-Partikeln in der Siliziumschmelze auch der Fall ist. Im Weltall unter Schwerelosigkeit sind diese schwerkraftgetriebenen Effekte jedoch ausgeschaltet. Das verringert die Komplexität der Vorgänge erheblich und erleichtert damit auch deren physikalische Beschreibung. Somit kann unter Schwerelosigkeit geprüft werden, ob die existierenden Theorien für den Partikeleinfang auch bei Silizium gültig sind oder ob diese Theorien für Silizium erweitert werden müssen, um bislang noch nicht berücksichtigte physikalische Effekte zu erfassen.
Das Akronym ParSiWal steht für „Bestimmung der kritischen Einfanggeschwindigkeit von Partikeln bei der gerichteten Erstarrung von Solarsilizium im Weltall“. ParSiWal ist eines der wissenschaftlichen Experimente, die während des Fluges der Forschungsrakete TEXUS 51 durchgeführt werden. In dem seit 1976 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) über das DLR-Raumfahrtmanagement geförderten TEXUS-Programm („Technologie-Experimente unter Schwerelosigkeit“) wird mit Hilfe von Forschungsraketen für etwa sechs Minuten Experimentierzeit eine annähernde Schwerelosigkeit erreicht. Die Forschungsrakete startet von Esrange bei Kiruna in Nordschweden und erreicht in ihrem ballistischen Flug eine Gipfelhöhe von bis zu 270 Kilometern. Die Nutzlast landet etwa 20 Minuten nach dem Start am Fallschirm und wird anschließend per Hubschrauber geborgen.
Das ParSiWal-Experiment wird in einer mit Lampen beheizten Ofenanlage, der sogenannten ELLI-Anlage, durchgeführt. Die Anlage wurde bereits mehrfach erfolgreich als Nutzlast in Texus-Raketen für Kristallzüchtungsexperimente eingesetzt. Vor der Mission wird dazu ein zylindrischer Siliziumstab mit 8 Millimetern Durchmesser in die Ofenanlage eingesetzt, der ein Depot an Partikeln unterschiedlicher Größe enthält. Kurz nach Erreichen der Schwerelosigkeit wird in dem Siliziumstab in der Umgebung des Partikel-Depots durch eine Induktionsspulenheizung eine flüssige Schmelzzone erzeugt. Nachdem die Partikel durch sogenanntes Magnetfeldrühren in der Schmelzzone verteilt werden, wird der Siliziumstab verfahren. Dadurch bewegt sich die Schmelzzone durch den Stab und somit auch die Fest-flüssig-Phasengrenze. Durch Variation der Verfahr- bzw. Kristallisationsgeschwindigkeit während des Fluges hoffen die Fraunhofer-Forscher, die kritische Einfanggeschwindigkeit für die Partikel bestimmen zu können. Vor dem Ende der schwerelosen Flugphase wird die Lampenheizung ausgeschaltet, so dass die Schmelzzone komplett erstarrt, bevor die Nutzlast am Fallschirm wieder auf der Erde landet. Die Auswertung des Experimentes erfolgt dann im Labor, wo zum Beispiel die Partikelverteilung im Siliziumstab vermessen wird.
Bis zum Flug ist einiges vorzubereiten, damit das Experiment reibungslos ablaufen kann. Es müssen verschiedene Siliziumstäbe für Voruntersuchungen, für Referenzexperimente auf der Erde und für das eigentliche Flugexperiment vorbereitet werden. Darüber hinaus sind die Charakterisierungsmethoden zu etablieren, um später das Flugexperiment auswerten zu können. In Voruntersuchungen im Labor müssen verschiedene Versuchsparameter ausgetestet werden, so dass sich ein optimaler Prozessablauf für das TEXUS-Experiment ergibt. Parallel zu den Experimenten gilt es, durch die Entwicklung geeigneter Theorien und Simulationstechniken ein tiefergehendes Verständnis über die Wechselwirkung zwischen den Partikeln und der sich bewegenden Phasengrenze zu gewinnen.
All diese Arbeiten erfordern unterschiedlichste Kompetenzen und Erfahrungen. Deshalb kooperieren die Forscher vom Fraunhofer IISB mit den Experten vom Kristallographischen Institut der Universität Freiburg, die bereits mehrfach Siliziumkristalle unter Schwerelosigkeit gezüchtet haben, und mit Wissenschaftlern vom Lehrstuhl für Material- und Prozesssimulation der Universität Bayreuth sowie vom Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Materialwissenschaft der Universität von Minnesota, USA. Die Teams aus Bayreuth und Minnesota sind ausgewiesene Spezialisten in der numerischen Modellierung, speziell in der Mehrskalensimulation, die notwendig ist, um die Wechselwirkung der Partikel mit der sich bewegenden Phasengrenze beschreiben zu können.
Das ParSiWal-Projekt ist Bestandteil des Programms Forschung unter Weltraumbedingungen des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt e.V. (DLR) und wird vom DLR-Raumfahrtmanagement für die nächsten drei Jahre mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) gefördert.
Für die Erlanger Forscher wird es das 8. Weltraumexperiment auf dem Gebiet der Kristallzüchtung seit 1983 sein. Zudem wird die in Erlangen am Fraunhofer IISB entwickelte Software CrysMAS®, die Temperaturverteilungen in Ofenanlagen berechnet und ein aufwendiges Qualifizierungsverfahren bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA durchlaufen hat, seit nunmehr einigen Jahren erfolgreich von Experimentatoren aus ganz Europa eingesetzt, um materialwissenschaftliche Experimente auf der Internationalen Raumstation zu unterstützen.